Das rote Haus – Mark Haddon

das rote haus

Wer Mark Haddons „Das Rote Haus“ aus großer Begeisterung für „The curious incident of the dog at night-time/Supergute Tage oder die sonderbare Welt des Christopher Boone“ in die Hand nimmt, der sei ein wenig gewarnt. Dieses Buch ist deutlich anders.

Mir kam Mark Haddon hier vor wie einer, der üblicherweise mit Kapuzenpulli und Chucks durch die Gegend läuft und der sich nun unbedingt erwachsen geben will und sich mit einem nicht recht sitzenden Smoking verkleidet. Momentan ist es ja – insbesondere wie mir scheint – bei männlichen „mittelalten“ Autoren recht en vogue im „stream of consciousness“ zu schreiben, oft gefühlt, als würden sie damit ihre Seriosität erhöhen wollen. Auch Haddon übt sich im „Roten Haus“ darin und lässt den Leser oft ratlos zwischen Gedankenströmen, Listen, Buchauszügen und fragmentierten Sätzen herumwandern.

Im zweiten Teil des Buches wird das erfreulicherweise etwas weniger und man kann den Geschichten der verschiedenen Familienmitgliedern wesentlich besser folgen.

Denn abgesehen von den abstrusen Fragmenten und Gedankenfetzen ist es ein wirklich gutes Buch mit komplexen und vielschichtigen Charakteren, die einem teilweise auch sehr ans Herz wachsen.  Die Story selbst ist schnell erzählt. Die Woche Ferien in Wales im roten Haus vereint das sich voneinander entfernte Geschwisterpaar Angela und Richard, die in den den letzten 15 Jahren kaum mehr als einen Nachmittag miteinander verbracht haben. Der Tod der Mutter ist der Anlass für diesen Ausflug beider Familien in ein altes, rotes Backsteinhaus.

Jedes Familienmitglied kommt mit einer Menge emotionalem Gepäck: Geheimnisse, Verletzungen, Missverständnise, Ängste. Wie Tolstoi eben „Alle glücklichen Familien gleichen einander, jede unglückliche Familie ist auf ihre eigene Weise unglücklich“. Dabei geht es gar nicht so sehr um großes Unglück, mehr so das normale, alltägliche mehr oder wenig große Unglücklichsein.

Richard bringt seine neue Ehefrau und deren 15-jährige Tochter Melissa mit. Melissa gibt das frühreife Miststück, permanent am Flirten und mit recht scharfer Zunge ausgestattet.

Angelas Ehemann ist ein ziemlicher Schlaffi, als vielversprechender, aber niemals erfolgreicher Musiker empfindet er dem erfolgreichen Richard gegenüber Minderwertigkeitskomplexe, lebt nur noch neben Angela her und tröstet sich mit einer anhänglichen Geliebten über seinen grauen Alltag hinweg. Ihre Kinder, die Teenager Daisy und Alex, haben ihre eigenen Schwierigkeiten, sich in der Welt zurecht zu finden. Daisy ist in die Religiosität geflüchtet, um sich von ihrer etwaigen Homosexualität ablenken zu können, Alex wirft sich auf den Sport und versucht durch klare Regeln und Disziplin sein Leben in Ordnung zu halten. Benyi, der kleine 8-jährige Sohn von Angela und Dominic, ist wohl der Unbelastetste von allen.

Im Buch lauern stets und ständig Konflikte und Missverständnisse. Komische und ernste, kleine und große. Das größte trägt Angela mit sich herum und im Laufe dieser Woche bricht dieses endlich auf. Ich liebe Haddons Charaktere, die Empathie, die seine Figuren ausstrahlen (insbesondere meiner Meinung nach die der Jugendlichen).

Dadurch das es keinen zentralen Erzähler im Buch gibt, schwenken die Ansichten rapide hin und her zwischen den 4 Erwachsenen, den 3 Teenagern und dem kleinen Jungen. Ja, das ist ab und an etwas anstrengend, aber diese Mühe lohnt sich. Die sollte man sich unbedingt geben, dafür denke ich, kann man sich ab und zu erlauben, über die anstrengenden ollen Listen, Buchauszügen, Aufzählungen von Inhalten in irgendwelchen Geschäften etc. drüber weg zu lesen.

Es ist nicht allzu schwierig, den verschiedenen Stimmen zu folgen, wenn man ein wenig aufpasst, das Buch ist allerdings eine ziemliche emotionale Achterbahn.

Also meine Damen und Herren, nehmen sie Platz in Haddons Achterbahn, aber schnallen sie sich an für eine anstrengende, aber durchaus lohnende Fahrt.

„Du hasst Richard, weil er dreihundert Meilen entfernt in Edinburgh in seinem großzügigen, georgianischen Apartment am Moray Place umherschlendert, während du auf diesem abgenutzten olivgrünen Stuhl sitzt und Mum dabei zuhörst, wie sie durch den Käfig ihres gebrochenen Geistes tobt.“

„Man konnte darum bitten, in den Arm genommen zu werden, wenn man traurig war oder sich weggetan hatte, doch wenn es einfach so spontan passierte, fühlte man sich innen drin so warm.“

„Kämpfen oder die Flucht ergreifen, dieser treue Wachhund, der seit Millionen von Jahren nicht von unserer Seite weicht und uns vor jedem Anzeichen von Gefahr warnt. Doch wie konnte man vor einem Hirngespinst flüchten? Wie konnte man den Bildern in seinem Kopf entkommen? Wie hatte es Hecht noch in seinem Artikel für Nature ausgedrückt, wir hatten die Welt da draußen gezähmt, aber nicht die Waffen, die wir besaßen, um in ihr zu überleben.“

„Doch als er dies tat, sagte Richard, bloß, Wunderbar, ohne Anzeichen von Überraschung oder Erleichterung, sodass Dominic sich kurzzeitig fragte, ob es möglich war, die Zukunft schon dadurch zu beeinflussen, dass man sie mit großem Selbstbewußtsein vorhersagte.“

Das Buch erschien im Blessing Verlag.

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