Kreta by the Book – Summer Edition

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Eigentlich wollten wir ja brav zu Hause bleiben, an der Isar entlang radeln, in den heimischen Bergen wandern, im Biergarten mitgebrachtes Essen futtern, um auf unseren großen Kanada-Urlaub nächstes Jahr zu sparen. Ja eigentlich. Dann aber war die Wettervorhersage so unsicher und Vollzeitarbeitende und nebenbei studierende Bingereader Gattin schwer erholungsbedürftig und so beschlossen wir, kurzfristig und sehr last minute uns zwei günstige Wochen auf Kreta zu gönnen.

Gebucht und gepackt war schnell, die Bücherauswahl dauerte etwas länger, aber schließlich liessen sich doch zwei Griechenland-bezogene Romane in meiner heimischen Bibliothek auftreiben, das ganze wurde um etwas Strandlektüre erweitert und zack lagen wir schon kurze Zeit später lesend am Pool.

Auch der erschöpfteste Bingereader kann nicht ewig an Pool oder Strand rumliegen, daher haben wir natürlich auch ordentlich die Insel erkundet und eine liebe Freundin überrascht, die am anderen Ende der Insel wohnt.

Wir besuchten die hübschen Hafen-Städte Réthimno und Chania, stachen bei unserem Überraschungsbesuch in Milatos mit riesiger Badeinsel in See, wanderten und besuchten das Kloster Agia Triada.

Trotz allem blieb noch Zeit genug, sich durch einige Bücher zu graben, näher vorstellen möchte ich euch diese:

John Fowles – The Magus

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Gleich vorne weg, das Buch hat mich ziemlich umgehauen, „mind-blowing“ passt wie die Faust aufs Auge. Nicholas Urfe ist ein junger gut aussehender Typ, der 1953 in London mehr oder weniger ziellos durchs Leben treibt. Er ist ein echter Casanova, lebt ein ziemliches Bohemian-Intellektuellen Leben und versucht sich an der Poesie. Er ist ein typischer Vertreter der Kriegsgeneration, deren Kriegserlebnisse sie mehr oder weniger unfähig machen, wirklich zu lieben. Nicholas gerät dann eher durch Zufall an einen Job als Lehrer auf der kleinen abgelegenen griechischen Insel Phraxos.

Bevor er nach Phraxos geht, lernt er eine junge Australierin kennen, Alison Kelly. Sie haben eine Affäre, trinken beide recht viel und sind alles in allem ziemlich destruktiv. Am Ende des Sommers geht er nach Phraxos und sie beginnt einen Job als Stewardess, ihre Beziehung lassen sie unausgesprochen offen, man will sich mal besuchen und dann mal schauen was passiert.

Auf der Insel gerät er in den Bann eines älteren reichen Typen namens Maurice Chovis, der ihn in ein Gewirr aus niemals endenenden Mind-Games verwickelt. Immer, wenn man glaubt, man hat den Grund des Rätsels erreicht, entpuppt sich dies wieder als doppelter Boden und ein weiteres Geheimnis tut sich auf. Freunde der Mystery-Serie „Lost“ kommen hier ganz auf ihre Kosten. Es passieren jede Menge ziemlich abgefahrene Sachen, es wirkt als habe David Lynn sich mit Aldous Huxley auf der Insel getroffen und sie hätten Unmengen Ouzo getrunken, einen Sonnenstich bekommen und dann gemeinsam ein Buch geschrieben.

“It came to me…that I didn’t want to be anywhere else in the world at that moment, that what I was feeling at that moment justified all I had been through, because all I had been through was my being there. I was experiencing…a new self-acceptance, a sense that I had to be this mind and this body, its vices and its virtues, and that I had no other chance or choice.”

Das Buch ist wunderbar geschrieben und obwohl mit über 700 Seiten ein ziemlich dickes Ding, eines, das man nicht aus der Hand legen kann. Ein Mix aus psychologischem Thriller, jungianischer Lehre, voller Metaphern, Symbolen und jeder Menge Erotik, die noch einmal mehr überrascht, wenn man bedenkt, dass das Buch in den 1950er Jahren begonnen und 1965 veröffentlicht wurde.

„You are right. He did not. But millions of Germans did betray their selves. That was the tragedy. Not that one man had the courage to be evil. But that millions had not the courage to be good.” 

Ich fand das Buch absolut berauschend, konnte es gar nicht weglegen und muss unbedingt „The French Lieutnant’s Women“ noch mal rauskramen, ein weiteres Buch von ihm, das mir vor Jahren auch richtig gute gefallen hatte. Ich kann „The Magus“ wirklich empfehlen,  Punktabzug gab es, weil ich es stellenweise recht chauvinistisch fand.

“Greece is like a mirror. It makes you suffer. Then you learn.‘
To live alone?‘
To live. With what you are.”

Kennt jemand „The Magus“ oder ein anderes Buch von John Fowles ? Ich habe den Eindruck, er ist in Deutschland nicht sehr bekannt.

Mein zweites Buch war dann „as Greek as it gets“:

Margaret Atwood – The Penelopiad

Margaret Atwood

Es gibt wohl kein griechisches Buch, das bekannter ist als Homers Odyssee. Die Abenteuer von Odysseus, der nach dem Sieg von Troja versucht, endlich wieder nach Hause zu kommen. Nach jeder Menge Kämpfen mit Zyklopen, Dieben, Sirenen und anderem Ungemacht kommt er endlich nach 20 Jahren heim zu seiner loyalen brav wartenden Ehefrau Penelope, die von opportunistischen Verehrern umgeben ist, die seinen Weinkeller leeren und seine Vorräte auffuttern. Sein Sohn und er bringen die ganzen Verehrer und die verräterischen Mädge um, die mit den Verehrern unter einer Decke steckten und zieht die brave Penelope an seine Heldenbrust. Ende der Geschichte. Normalerweise.

Margaret Atwood gibt in diesem Büchlein Penelope eine Stimme und lässt sie die Geschichte aus ihrer Sicht erzählen. Penelope existierte durchaus schon, bevor sie die Ehefrau von Odysseus wurde und sie erzählt uns ihr Leben aus dem Grab heraus, von der Geburt bis hin zu ihrem Ende. Wir lernen sie kennen, erfahren ihre Hoffnungen, Wünsche, Ängste und Sehnsüchte. Ein einfaches Leben hatte sie auf jeden Fall nicht. Wir erfahren, wie wenig Frauen zu sagen hatten, selbst Adlige wie sie. Sie wird an Odysseus verheiratet und mit ihm ins öde Ithaca verschifft, wo sie mit jeder Menge anderer Schwierigkeiten am dortigen Hofe zu kämpfen hat.

“Cleverness is a quality a man likes to have in his wife as long as she is some distance away from him. Up close, he’ll take kindness any day of the week, if there’s nothing more alluring to be had.” 

Macht hat sie keine und muss mehr oder weniger tun, was ihr gesagt wird. Als Odysseus in den Krieg zieht (ausgelöst durch die tückische Helena), übernimmt sie die Abläufe am Hof und macht das ziemlich gut. Ihr Ziel ist es, mehr zu erwirtschaften und den Hof zum blühen zu bringen, bis er zurückkommt. Dann tauchen irgendwann die ersten Verehrer auf und die Geschichte nimmt den uns bekannten Verlauf.

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Zumindest behauptet sie, ein schlechtes Gewissen zu haben. Die Mägde, die mit Penelope im Jenseits leben, haben da eine etwas weniger großmütige Auslegung der Tatsachen. Soviel zu den unzuverlässigen Erzählern und Geschichten, die stets so erzählt werden, wie sie einem in der jeweiligen Situation am besten passen.

“Water does not resist. Water flows. When you plunge your hand into it, all you feel is a caress. Water is not a solid wall, it will not stop you. But water always goes where it wants to go, and nothing in the end can stand against it. Water is patient. Dripping water wears away a stone. Remember that, my child. Remember you are half water. If you can’t go through an obstacle, go around it. Water does.”

Das dünne Büchlein liest sich schnell, die Sprache ist knapp, flüssig und überaus intelligent und der Plot sehr effizient mit einem guten Schuss Humor. Mir hat diese feministische Interpretation sehr gut gefallen, es darf meiner Ansicht nach bei keinem Griechenland Besuch fehlen. Habe mich nur geärgert, dass ich meine „Sagen des klassischen Altertums“ nicht eingepackt hatte, das wäre die perfekte Begleitlektüre gewesen.

So und jetzt ihr – welche Urlaubslektüre hat Euch in eurem Sommerurlaub dieses Jahr begleitet ?

„The Magus“ erschien auf deutsch unter dem Titel „Der Sammler“ im List Verlag erschienen.
„The Penelopiad“ erschien auf deutsch unter dem Titel „Die Penelopiade“ im dtv Verlag erschienen.

The Handmaid’s Tale – Margaret Atwood

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„Don’t let the bastards grind you down“

Kaum zu glauben, dass ich ausgerechnet DEN berühmtesten Roman von Margaret Atwood bisher noch nicht gelesen habe. Sie ist eine meine Lieblingsautorinnen und ich liebe Dystopien, es ist mir also komplett unverständlich, wieso ich so derart lange gebraucht habe, um das Buch endlich zu lesen.

Dafür habe ich mir dann aber auch die wunderbare Ausgabe der Folio Society gegönnt, die ich so derart schön finde, das sie immer einen Ehrenplatz in der heimischen Bibliothek haben wird.

Als Atwood den Roman 1986 veröffentlichte, hatten die Yuppies das Feld erobert und Ronald Reagan mit seiner „Prouder, Stronger, Better“ Rede den Neoliberalismus hoffähig gemacht. Die Bewegung der christlichen Fundamentalisten steckte zwar noch in den Kinderschuhen, doch die Angst vor AIDS sorgte für raschen Zulauf. Und dann war da noch Tschernobyl. Auch nicht gerade eine glückliches Jahrzehnt.

Nicht verwunderlich, das Atwood in einer solchen Atmosphäre auf die Idee kommt, dass ein solcher Mix aus Konservatismus, Fundamentalismus, Gewalt und Disaster katastrophale Auswirkungen haben könnte. Was mich bei Atwood immer wieder fasziniert ist, wie treffsicher sie in ihren Romanen Vorhersagen trifft, die sehr dicht an der Realität sind.

Sie ist die Königin der „speculative fiction“.

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Schon faszinierend und traurig zu sehen, das einige Elemente der Geschichte tatsächlich passiert sind. Allem voran natürlich die Rolle der Frau und die Rechte der Frauen in Ecken der Welt, in denen der religiöse Fundamentalismus ungebremst wütet.

“Better never means better for everyone… It always means worse, for some.”

Ich mußte den Absatz zweimal lesen, in dem die beginnenden Angriffe auf die US Regierung anfangs islamischen Fundamentalisten zugeschrieben wurde. Hat sie das wirklich 1986 geschrieben? Da ist sie ja schon fast unheimlich ihrer Fähigkeit zu prophezeien. Das Massaker der US Regierung im Buch läßt an 9/11 denken und die daraus resultierenden Restriktionen im Namen der Sicherheit, der blinde Patriotismus der aufblüht, die fanatische Flucht in Religion mit dem ewigen unumstösslichen Irrglauben, die eigene sei die einzig richtige Religion und Tod den Ungläubigen.

Der Roman ist eine feministische Dystopie, ein Alptraum, der mit zum Besten gehört was ich seit Langem gelesen habe. Atwood schafft es eine überzeugendes, erschreckendes Porträt einer Gesellschaft zu zeichnen, die jeglichen Freiheitsdrang im Keim erstickt. Ich konnte das Buch überhaupt nicht aus der Hand legen, es war so unglaublich spannend.

Emphatische Leser werden Offred’s Erlebnisse nur schwer ertragen können, das Buch ist nachhaltig verstörend. Es gibt unglaublich viele Interpretationsmöglichkeiten des Textes, so viele Motive, ich bin sicher auf Wunsch lässt sich tonnenweise Sekundarliteratur auftun.

Die Atmosphäre im Buch wird genial aufgefangen durch die Illustrationen im Buch, die von den Zwillingsschwestern Anna und Elena Balbusso angefertigt wurden. Die Bilder sind unglaublich ausdrucksstark und ich würde mir einige davon jederzeit aufhängen.

“We were the people who were not in the papers. We lived in the blank white spaces at the edges of print. It gave us more freedom. We lived in the gaps between the stories.”

„The Handmaids Tale“ zeichnet das Bild einer erschreckenden und sehr realen Zukunft. Man braucht ein wenig, bis man genauer versteht, was genau los ist in der Welt der „Handmaid’s“, doch die tiefsitzende Angst und das Gefühl von Gefahr bringt Atwood in ihrer knappen Sprache deutlich rüber. Dadurch das aber nicht alles sofort klar ist, dringt man tief ein in diese Welt. Man will einfach verstehen was los ist, den Sinn dahinter verstehen und wie es zu diesen schrecklichen Entwicklungen hat kommen können.

Die Handmaids besitzen keinen freien Willen, keinerlei Individualismus mehr. Sie werden von einem tyrannischen Regime wie Gebärmaschinen behandelt. Können sie nicht mehr gebären, oder wagen sie es aufzumucken, werden sie aufs heftigste bestraft, oft mit dem Tod. Es gibt weder Hoffnung noch Aussicht auf Glück, nur unaufhörliche Unterwerfung.

Atwood zeichnet ein wahnsinnig düsteres Bild, sie zeigt eindrucksvoll wie das Leben aussehen könnte, wenn plötzlich religiöse Fundamentalisten die menschenverachtenden Ansichten des Alten Testaments als Gesetz ansehen und die Befolgung erbittert  einfordern.  Frauen wird das Recht genommen zu lesen und zu schreiben, ihnen wird jegliche Unabhängigkeit genommen und am schlimmsten ist, nach einiger Zeit wissen die Frauen nicht einmal mehr, das es jemals anders war.
“A rat in a maze is free to go anywhere, as long as it stays inside the maze.”

Die Protagonistin kann sich zwar noch an ihre Vergangenheit erinnern, das es auch andere glücklichere Zeiten gab, aber sie darf sich nicht erinnern und schon gar nicht über ihre Erinnerungen sprechen. Für die kommenden Generationen an Handmaids werde es leichter sein, sagt man ihnen, die haben keine Erinnerungen mehr, wie es einmal war.

1986 mag das einfach ein dystopischer Science Fiction Roman gewesen sein, heute ist das in vielen Taliban beherrschten Gegenden für Frauen Alltag.

“But who can remember pain, once it’s over? All that remains of it is a shadow, not in the mind even, in the flesh. Pain marks you, but too deep to see. Out of sight, out of mind.”

Doch Offred (Tochter von Fred) gewinnt im Laufe des Romans zunehmend an Stärke und erarbeitet sich einen kleinen Hoffnungsschimmer auf eine mögliche alternative Zukunft für sich. Der Roman schafft es, in kleinen wundervollen Momenten Glück aufkommen zu lassen. Das der Mensch auch unter schlimmsten Gegebenheiten in der Lage ist, Glück zu erkennen und zu geniessen.

Heftig war für mich aber immer wieder der Satz „and we didn’t even know we were happy then.“, der immer mal wieder kommt, wenn sie an ihre Vergangenheit denkt. Atwood zeigt meisterhaft auf wie schnell und unkontrollierbar alles, was wir als selbstverständlich ansehen, ins Rutschen geraten kann. Wie schnell unsere Ängste die Überhand gewinnen können und wir kuschen aus Angst vor Repressalien.

“Yes, Ma’am, I said again, forgetting. They used to have dolls, for little girls, that would talk if you pulled a string at the back; I thought I was sounding like that, voice of a monotone, voice of a doll. She probably longed to slap my face. They can hit us, there’s Scriptural precedent. But not with any implement. Only with their hands.” 

Man kann es sich einfach machen und einfach der Illusion folgen, das Frauen in unserer westlichen Zivilisation meilenweit entfernt sind von solchen Zuständen und machen können, was sie nur wollen. Aber auch hier und heute ist es noch viel zu oft die Norm, das Vergewaltigungsopfer sich anhören müssen, sie seien ja mit Schuld. Man geht auch nicht so gekleidet, oder alleine oder im Dunkeln etc. und lässt die Täter mit lachhaft niedrigen Strafen davonkommen, damit man ihre Karrieren nicht zerstört.

Ich bin dankbar, dass ich Frau Atwood habe, die mich immer mal wieder wachrüttelt. Das wir zusehen müssen, das nirgendwo auf der Welt Frauen auch nur ansatzweise in einer „Handmaid’s“ Welt leben müssen und das wir uns nicht vormachen nach dem Motto, wir haben doch alles schon erreicht, den Feminismus brauchts nicht mehr.

„For the record, feminism, by definition, is the belief that men and women should have equal rights and opportunities. It is the theory of the political, economic, and social equality of the sexes. (Emma Watson)

Auf deutsch ist das Buch unter dem Titel „Der Report der Magd“ im Berlin Verlag erschienen.

The Heart Goes Last – Margaret Atwood

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Gute Dystopien oder Atwoods bevorzugter Begriff „spekulative Fiktion“ sagen viel mehr über unsere aktuellen Probleme und den Zustand unserer Gesellschaft aus, als über eine mögliche Zukunft. Dieses Genre beherrscht Atwood einfach. Dieser Roman ist nicht ganz so stark wie die „Oryx und Crake“ Reihe, aber ein etwas schwächerer Atwood ist immer noch besser als vieles andere.

Wenn man auf der Straße lebt, weil die Wirtschaft komplett zusammengebrochen ist und so gut wie nichts mehr funktioniert oder die Gesellschaft zusammenhält, man sich vor marodierenden Banden schützen muss, bekommen auch extreme Angebote eine gewisse Attraktivität.

Charmaine und Stan, beide etwa Mitte Dreißig, sind nach dem Absturz aus ihrem Mittelklasse-Leben gezwungen im Auto zu leben, sie leben von Essensresten die sie finden, jeder Tag ein neuer Überlebensakt.

Das seltsame Angebot übermittelt sich ihnen in Form eines TV Spots in dem Interessente für das Positron Projekt in Consilience (Wortspiel aus „Con“ für convict = Straftäter und „resilience“ = Anpassungsfähigkeit) gesucht werden. Der Deal: sie leben künftig einen Monat als glückliche Mittelstandsfamilie mit hübschem Haus, Motoroller und Arbeitsplatz – und einen Monat im Knast.

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Du bekommst alles auf dem Tablett serviert, aber während du im Knast bist, ziehen am Wechseltag deine „Alternates“ in dein Haus, sitzen auf deinem Sofa und essen von deinen Tellerchen. Musik- und Fernsehprogramm sind auf beruhigende Doris Day und Frank Sinatra Schmonzetten beschränkt, aber Beggers can’t be choosers und der eine Monat Knast lässt sich auch irgendwie überstehen und vielleicht hält es ja auch die Liebe frisch, wenn man sich immer nur alle zwei Monate sieht.

Charmaine und Stan lassen sich auf den Deal ein und insbesondere Charmaine fällt es anfangs sehr leicht, die Werbetrommel-Ansagen der Positron Leitung zu glauben. Sie gleitet in ihr Stepford Wife Leben und ist eigentlich rundum glücklich, obwohl die ihr zugeteilte Aufgabe in der Euthanesie von unangepassten Außenseitern liegt. Der etwas skeptischere Stan arbeitet auf einer Hühnerfarm. Langsam aber sicher leben sich die beiden auseinander.

Als Charmaine dann eine Affaire mit ihrem „Alternate“ beginnt, wird alles richtig kompliziert und unabhängig voneinander merken Stan und Charmaine, was wirklich hinter den Gefängnismauern vor sich geht.

Das letzte Drittel des Buches wird dann recht bizarr mit seinen lebensechten Gummipuppen, den Heerscharen an Marilyn Monroe und Elvis Doubles und reichlich Sex. Kein Buch für moralisch schnell Erschütterte, aber eine spekulative Tour-de-Force, die sich mit Kapitalismus, Biotech, Neurowissenschaften und Identität beschäftigt.

„Would Doris Day’s life have been different, he muses, if she’d called herself Doris Night? Would she have worn black lace, dyed her hair red, sung torch songs?”

Auch wenn sie gelegentlich über das Ziel hinausschießt, man merkt Atwood an, wieviel Spaß sie beim Schreiben dieser seltsamen 50er Jahre Gesellschaftskonstellation hatte. Das Buch steckt voller spannender Ideen und Spekulationen, es ist teils Satire, teils Science Fiction und stellenweise unglaublich witzig.

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Seine Freiheit aufgeben für noch so edle Zwecke ist und bleibt eine schlechte Idee, egal wie heroisch das Set-up auch ursprünglich vielleicht ist, am Ende fliegen einem soziale Experimente wie diese einfach unweigerlich um die Ohren.

Ich habe das Gefühl, Atwood hat mit jedem Buch mehr Spaß am Schreiben. Von altersmilde oder ruhiger werden keine Spur. You go Girl, ich warte schon sehnsüchtig auf ihr nächstes Buch.

Hier ein tolles Interview zu „The Heart Goes Last“

Auf deutsch ist das Buch unter dem Titel „Das Herz kommt zuletzt“ im Berlin Verlag erschienen.