12. Türchen: New York Ghost – Ling Ma

Dieses Buch hat mich von der ersten Seite an in seinen Bann gezogen. Ling Ma erzählt in „New York Ghost“ die Geschichte von Candace Chen, einer Millennial-Frau, die viel zu viel arbeitet und einen Großteil ihres Lebens in einem Büroturm in Manhattan verbringt. Da beide Eltern kürzlich verstorben sind und sie keine andere Familie oder enge Freunde hat, hat sie kaum etwas anderes zu tun, als zur Arbeit zu gehen und mit ihrem Freund in einem Keller in Greenpoint Filme zu schauen. Candace empfindet daher wenig Emotionen, als das Shen-Fieber ausbricht, eine Seuche, die Menschen in gewaltlose Zombie-Versionen ihrer selbst verwandelt, die dazu verdammt sind, dieselben Routineaufgaben immer und immer wieder zu wiederholen, bis sie irgendwann bewusstlos werden und sterben. Die Routinen der ewigen Wiederkehr. Die Geschichte wechselt zwischen Candace‘ Leben vor dem Shen-Fieber und danach, als sie mit einer Gruppe von Überlebenden durch das apokalyptische Amerika reist, die vom machthungrigen, autoritären Bob angeführt wird.

„Ich habe immer in dem Mythos New York gelebt, mehr als in seiner Realität“

„New York Ghost“ ist unglaublich atmosphärisch. Während des Lesens fühlte ich mich klaustrophobisch, gefangen und gleichzeitig gefesselt von der Geschichte – ähnlich wie sich vermutlich viele Millennials im Neoliberalismus/Spätkapitalismus unserer Zeit fühlen. Die Rück- und Vorblenden haben hier gut funktioniert, da sie dazu dienten, Candace‘ Charakter und Hintergrundgeschichte zu vertiefen und gleichzeitig die Erzählung voranzutreiben. Innerhalb dieser dichten, fesselnden Handlung fügt Ma Kommentare über die tödlichen, verheerenden Auswirkungen des Kapitalismus ein, die für eine gute Balance zwischen dem pandemischen und dem gesellschaftspolitischen Teil des Buches sorgen. Alle Elemente dieser Geschichte – die Zombie-Apokalypse, Candaces Erwachsenwerden, das Eintauchen in das Firmenleben – kommen auf eine düstere, fesselnde und unaufhaltsame Weise zusammen.

Ma hat einen dystopischen Zombie-Roman geschrieben, der sich mit der Frage beschäftigt, warum man sich vor der Zombie-Apokalypse fürchten sollte, wenn wir alle doch bereits irgendwie Zombies sind? Ma zielt auf unsere extrem schnelllebige, materialgetriebene, im Internet existierende Gesellschaft ab, sie nimmt traditionelle Rollen genauso ins Visier wie Nostalgie und die Schönfärberei der „Vergangenheit“. Kapitalismuskritik trifft auf Zombies und Pandemie.

Eine clevere, spannende, gelegentlich zynische und gleichzeitig wichtige Lektüre, die mich dazu gebracht hat, viel darüber nachzudenken, was in meinem Leben am Wichtigsten ist. Eine Autorin, die ich definitiv im Auge behalten möchte und auf deren nächstes Buch ich schon sehr gespannt bin.

#WomeninSciFi: New York Ghost – Ling Ma

Dieses Buch hat mich von der ersten Seite an in seinen Bann gezogen. Ling Ma erzählt in „New York Ghost“ die Geschichte von Candace Chen, einer Millennial-Frau, die viel zu viel arbeitet und einen Großteil ihres Lebens in einem Büroturm in Manhattan verbringt. Da beide Eltern kürzlich verstorben sind und sie keine andere Familie oder enge Freunde hat, hat sie kaum etwas anderes zu tun, als zur Arbeit zu gehen und mit ihrem Freund in einem Keller in Greenpoint Filme zu schauen. Candace empfindet daher wenig Emotionen, als das Shen-Fieber ausbricht, eine Seuche, die Menschen in gewaltlose Zombie-Versionen ihrer selbst verwandelt, die dazu verdammt sind, dieselben Routineaufgaben immer und immer wieder zu wiederholen, bis sie irgendwann bewusstlos werden und sterben. Die Routinen der ewigen Wiederkehr. Die Geschichte wechselt zwischen Candace‘ Leben vor dem Shen-Fieber und danach, als sie mit einer Gruppe von Überlebenden durch das apokalyptische Amerika reist, die vom machthungrigen, autoritären Bob angeführt wird.

„Ich habe immer in dem Mythos New York gelebt, mehr als in seiner Realität“

„New York Ghost“ ist unglaublich atmosphärisch. Während des Lesens fühlte ich mich klaustrophobisch, gefangen und gleichzeitig gefesselt von der Geschichte – ähnlich wie sich vermutlich viele Millennials im Neoliberalismus/Spätkapitalismus unserer Zeit fühlen. Die Rück- und Vorblenden haben hier gut funktioniert, da sie dazu dienten, Candace‘ Charakter und Hintergrundgeschichte zu vertiefen und gleichzeitig die Erzählung voranzutreiben. Innerhalb dieser dichten, fesselnden Handlung fügt Ma Kommentare über die tödlichen, verheerenden Auswirkungen des Kapitalismus ein, die für eine gute Balance zwischen dem pandemischen und dem gesellschaftspolitischen Teil des Buches sorgen. Alle Elemente dieser Geschichte – die Zombie-Apokalypse, Candaces Erwachsenwerden, das Eintauchen in das Firmenleben – kommen auf eine düstere, fesselnde und unaufhaltsame Weise zusammen.

Ma hat einen dystopischen Zombie-Roman geschrieben, der sich mit der Frage beschäftigt, warum man sich vor der Zombie-Apokalypse fürchten sollte, wenn wir alle doch bereits irgendwie Zombies sind? Ma zielt auf unsere extrem schnelllebige, materialgetriebene, im Internet existierende Gesellschaft ab, sie nimmt traditionelle Rollen genauso ins Visier wie Nostalgie und die Schönfärberei der „Vergangenheit“. Kapitalismuskritik trifft auf Zombies und Pandemie.

Eine clevere, spannende, gelegentlich zynische und gleichzeitig wichtige Lektüre, die mich dazu gebracht hat, viel darüber nachzudenken, was in meinem Leben am Wichtigsten ist. Eine Autorin, die ich definitiv im Auge behalten möchte und auf deren nächstes Buch ich schon sehr gespannt bin.

Mein Lesejahr 2019

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Erst wollte ich nicht, dann dachte ich es sei eh zu spät, aber da die Erfinderin dieser wunderbaren Blogparade, die Frauenleserin,  auch erst vor ein paar Tagen ihren Beitrag veröffentlichte, spring ich einfach mit auf den Zug und teile mit Euch mein Lesejahr:

Diese Fragen galt es zu beantworten:

  1. Wie hoch ist Deine „Frauenquote“? Wieviele Bücher hast Du in diesem Jahr gelesen und/oder rezensiert? Wieviele davon wurden von Autorinnen verfasst?

    Ich habe unglaubliche 108 Bücher bei Goodreads geloggt, wobei da auch ein paar Comics dabei waren. Trotzdem eine stattliche Zahl, die mich selbst überrascht hat. Davon waren 56 Bücher von Autorinnen. Also ganz knapp mehr als die Hälfte.
    Rezensiert habe ich alle – glaube ich zumindest.

  2. Welches Buch einer Autorin ist Dein Lesehighlight in 2019? (Warum?)

    Hier würde ich die für mich gerade entdeckte Christa Wolf nennen, von der ich im Urlaub auf Naxos „Kassandra“ und „Medea“ gelesen habe und die mich sehr begeistert hat.

    Eine weitere Überraschung war Jenny Erpenbeck, deren Roman „Gehen, Ging, Gegangen“ zu einem absoluten Highlight zählt.

    Final möchte ich noch die Interviewbände aus dem Kampa Verlag nennen, die mich jedes Mal wieder sehr begeistern. Dieses Jahr las ich die Interviews mit Siri Hustvedt und Margaret Atwood und konnte beide gar nicht aus der Hand legen. Ich liebe diese Reihe.

  3. Welche Autorin hast Du in 2019 für Dich entdeckt und was macht Sie für Dich so besonders?

    Wie oben erwähnt war das Christa Wolf für mich. Möchte jetzt unbedingt nach und nach alles von ihr lesen. Was sie für mich so besonders macht kann ich gar nicht sagen. Sie schreibt einfach irre gut, ihre Biografie macht mich neugierig, ihre Bücher sind klug, sie beobachtet genau und sie empfindet Wärme für ihre Protagonist*innen.

  4. Welche  weibliche Lebensgeschichte bzw. Biografie hat Dich besonders beeindruckt (und warum?)

    Ich habe 2019 unglaublich viel von und über Virginia Woolf und Vita Sackville-West gelesen und von daher würde ich diese beiden Autorinnen nennen.

  5. Welches Buch einer Autorin möchtest Du in 2020 unbedingt lesen?

    Da gibt es so einige Autorinnen. George Eliots „Middlemarch“ ist wohl eher ein größeres Projekt für die Weihnachtstage am Ende des Jahres.

    Ich lese gerade die aktuelle Nobelpreisträgerin und möchte dieses Jahr unbedingt endlich etwas von Herta Müller lesen. Als ich mir die Liste der Literatur-Nobelpreisträgerinnen mal ansah, bin ich echt erschrocken. In all den Jahren haben gerade einmal 14 Frauen den Preis verliehen bekommen. Schwach, wenn man bedenkt der Preis wird seit 1901 vergeben und es gab glaube ich nur 6x kriegsbedingt nicht vergeben.

    Könnte also durchaus sein, dass ich eine kleine Reihe starte #Nobelpreisträgerinnen lesen, eine weitere neue Reihe die ich definitiv für 2020 plane sind die #FemmesdesLettres.

    #WomeninSciFi und #WomeninScience gehen aber auf jeden Fall auch weiter.

    Wie war dein Lesejahr 2019? Man kann noch bis zum 23.01. an der Blogparade  der Frauenleserin teilnehmen.

#WomeninSciFi (50) The Dispossessed – Ursula LeGuin

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Das #WomeninSciFi Jahr neigt sich dem Ende zu und ich möchte es abschließen, wie es begann – mit der wunderbaren Ursula LeGuin. Vielen vielen Dank an die vielen Beteiligten, diese Reihe hätte nicht bestehen können ohne Euch! Dies soll nicht das endgültige Ende der Reihe sein, aber ich werde sie im nächsten Jahr nicht mehr im wöchentlichen Rhythmus weiterführen. Aber auch künftig werde ich die Finger nicht von großartiger, weiblicher SciFi lassen können und werde sicherlich auch bei euch mal wieder anklopfen, sollte ich auf euren Blogs etwas erspähen, was ich gerne in der Reihe hätte.

Ich hoffe sehr, dass es irgendwann genauso selbstverständlich sein wird, Autorinnen in den Science Fiction Abteilungen der Buchhandlungen zu finden.

Doch bevor ich gleich ganz sentimental werde, lasst uns aufbrechen in ferne Galaxien, in denen ein brillanter Physiker versucht, die Mauern des Hasses einzureißen, die seinen Planeten vom Rest des Universums isoliert haben. Von solchen Menschen können wir auch 2019 gar nicht genug haben.

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Science Fiction vor 30 oder 40 Jahren beschäftigte sich fast immer mit dem Szenario, ob die Zukunft auf der Erde kommunistisch, sozialistisch, faschistisch, kapitalistisch oder totalitär strukturiert sein würde. Man ging immer davon aus, dass es die Erde und die Menschheit gibt, die Fragestellung drehte sich zumeist um das vorherrschende politische System.

Heute stellt sich die Systemfrage fast gar nicht mehr. Selbst SciFi Autoren können sich eine Welt ohne Kapitalismus nicht vorstellen, aber durchaus, dass es unsere Erde nicht mehr gibt. Heute haben wir es sehr häufig mit Endzeitszenarien zu tun, in denen der Kapitalismus die Welt ans Messer geliefert hat.

In Ursula LeGuins Roman „The Dispossessed“ präsentiert sie eine durchaus plausible anarchistische Utopie. Utopien haben es immer schwer, die meisten sind sehr kurz gedacht, sind unrealistisch oder auch einfach nur dämlich. Diese Utopie hier ist anders. LeGuin hat sie tief durchdacht und durchaus einkalkuliert, das Menschen häufig einfach selbstsüchtig und dumm agieren. Beim Lesen kann man sich durchaus vorstellen, dass ihre anarchistische Gesellschaft tatsächlich funktionieren könnte. Nicht immer und es gibt auch durchaus Probleme, aber es scheint genügend Flexibilität und Realitätssinn darin zu geben, um sich auf verändernde Bedingungen einzustellen.

In Le Guins Roman wurde der kleine Planet Anarres von einer Gruppe von Dissidenten seines Zwillingsplaneten Urras besiedelt, einem Planeten, der dem unseren sehr gleicht. Urras hat eine reiche und luxuriöse Biosphäre und die urrastische Kultur ist reich, es gibt jede Menge Einkaufsmöglichkeiten, Klassensysteme, große Ungleichheit innerhalb der Gesellschaft sowie Gewalt und Sexismus.

Anarres ist im Vergleich dazu eine harsche Welt. Seine Biosphäre hat sich nicht weit über das Devon hinaus entwickelt und es braucht unglaubliche Disziplin der Siedler und jede Menge Mut, um diese harsche Umgebung Heimat zu nennen. Die Annaresti sind Anarchisten. Ihre Gesellschaft kennt keinen Besitz, keine Hierarchie, nur wenig Gewalt, komplette Gleichheit und keinerlei Einkaufsmöglichkeiten. LeGuin schafft es glaube ich deshalb so gut, diese Gesellschaft nachvollziehbar zu machen, weil sie eben kein utopisches Paradies ist. Die Psychologie der Annaresti ist durchaus glaubwürdig. Sie zeigen ganz normale Eigenschaften wie Eifersucht, Rivalität, Egoismus  und Ängste. Es gibt durchaus das Bedürfnis nach Besitz, aber dieses Bedürfnis wird nicht weiter gefördert oder kultiviert. Die Fähigkeit zur Selbstreflexion und die harten Bedingungen auf dem Planeten helfen, die Bedürfnisse nach Gleichheit und Freiheit zu befriedigen.

Le Guin ist eine großartige Erzählerin, die weder überzeichnet, noch ins Predigen verfällt. Ich glaube tatsächlich, das Geheimnis, warum die Annaresti Kultur funktionieren könnte, liegt in der Knappheit, gerade weil sie keine Fülle haben, weil ihre Welt so fordernd ist und es gar nicht so einfach ist, Überschuss zu produzieren. Knappheit kann ein großer Segen sein.

Die Anarchisten in LeGuins Geschichte kommen im Übrigen eher aus der Star Trek Philosophie. Es sind keine reinen „Zurück-zur-Natur-Hippies“, sondern sehr fortschrittliche, realistische und technologieaffine Menschen. Das gefiel mir sehr an der Geschichte, denn ich glaube, die Menschen brauchen Technologie, sie ist es, was uns als Menschen unter Anderem ausmacht.

LeGuin zeigt uns, dass uns nicht das, von dem wir es glauben, uns glücklich macht. Überschuss wird wahrscheinlich immer missbraucht werden. Autonomie, soziale Eingebundenheit und sinnvolle Arbeit sind der Ursprung von Zufriedenheit und Glück und davon haben die Anarresti tatsächlich mal Überfluss. Man kann wohl tatsächlich nicht alles haben. Ein einfaches Leben führt schnell zu Überfluss, der wiederum für die Menschen überaus schwierig zu managen ist.

„The Dispossessed“ ist ein großartiger Roman, der einem noch lange nachgeht, jede Menge Fragen aufwirft und den ich liebend gerne einmal im Bookclub diskutieren würde.

Jetzt müssen wir nur noch einen Weg finden uns künst,lich zu beschränken, ohne dass unser inneres Kleinkind sofort die Krise bekommt und der Raubbau an der Erde könnte vielleicht noch gestoppt werden. Wie wir das allerdings hinbekommen sollen ohne Ursula LeGuin, die Queen of Science Fiction, die dieses Jahr leider verstorben ist, kann ich mir so gar nicht vorstellen.

Auf deutsch erschien der Roman unter dem Titel „Freie Geister“ im Fischer Tor Verlag.

#Women in SciFi (47) meets Book-a-Day Challenge Day 8: Mary Shelley’s The Last Man

Luckily Mary Shelley continued to write after her first novel „Frankenstein“ was such a huge success. Today I would like to introduce to you one of her less known works „The Last Man“. The novel starts at the end of the 21st century and ends in the year 2100.

This futuristic story talks about the gradual extermination of the human race by a mysterious plague and a tragic love story. Mary Shelley is not just the Grandmother of Science Fiction, I’m sure she also was the first person to write a post apocalyptic novel. She basically invented the dystopian genre. Compared to this book, Frankenstein is a happy comedy.

“What is there in our nature that is for ever urging us on towards pain and misery?” 

This novel is a slow burn. Like many Victorian authors, Shelly took her time, she did not rush her plot along and she backed it up with ideas and feelings. The book is intriguing, especially for people with an interest in the ideals and philosophies of Victorian times.

“It is a strange fact, but incontestable, that the philanthropist, who ardent in his desire to do good, who patient, reasonable and gentle, yet disdains to use other argument than truth, has less influence over men’s minds than he who, grasping and selfish, refuses not to adopt any means, nor awaken any passion, nor diffuse any falsehood, for the advancement of his cause.”

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The book is partly a „roman a clef“ with the main protagonists modelled after her husband Percy Shelley and Lord Byron. I’m sure Mary Shelley felt pretty lonely after the deaths of so many people that played such a big role in her own life. She created a story about the deconstruction of the Romanticism movement, showing how the world view and optimism of an aesthete never really survives contact with the real world.

“I spread the whole earth out as a map before me. On no one spot of its surface could I put my finger and say, here is safety.” 

This is a pretty sad story and it clearly reflected Mary Shelley’s own life. She also outlived all of her friends and her husband, four of her five children had died and was actually „The Last Relict“.

If you are a little brave and can tolerate the hopelessness and dispair of this novel, you will rewarded with beautiful language, interesting ideas and vivid melancholy pictures of a world that gets lonelier and emptier every day.

Mary Shelley is not just the Ur-Mother of Science Fiction with her novel „Frankenstein“ she is also the Ur-Mother of the apocalyptic novel. I bow my head in respect to Mary Shelley…

Here is a really interesting short BBC documentary on Mary Shelley’s „The Last Man“:

#WomeninSciFi (44) Zerrissene Erde – N.K. Jemisin

Ein großartiger Nebeneffekt der #WomeninSciFi Reihe ist, dass ich darüber immer wieder spannende Blogs entdecke, die ebenfalls ein Herz für gute Science Fiction haben. Ein solcher ist der Blog „Phantastisch Lesen“, der sich, wieder Name schon sagt, insbesondere mit phantastischer Literatur beschäftigt, aber auch mit Science Fiction, Steampunk etc. Dort ist eine Menge zu entdecken, unter anderem auch noch einiges an Science Fiction von Autorinnen, die wir hier bei #WomeninSciFi noch nicht vorgestellt haben.

Eva stellt uns heute die Hugo-Gewinnerin 2016, 2017 und 2018 für ihre Reihe „Broken Earth“ vor:

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Klappentext:

Inmitten einer sterbenden Welt hat die verzweifelte Essun nur ein Ziel: ihre Tochter aus den Händen eines Mörders zu befreien, den sie nur zu gut kennt.
Seit sich im Herzen des Landes Sansia ein gewaltiger Riss voll brodelnder Lava aufgetan hat, dessen Asche den Himmel verdüstert, scheinen immer mehr Menschen dem Wahnsinn zu verfallen. So lässt der Herrscher seine eigenen Bürger ermorden. Doch nicht Soldaten haben Essuns kleinen Sohn erschlagen und ihre Tochter entführt – sondern ihr eigener Ehemann! Essun folgt den beiden durch ein Land, das zur Todesfalle geworden ist. Und der Krieg ums nackte Überleben steht erst noch bevor.

 Eine politische Aussage, wundervolle Schreibe und spannende Geschichte

 „Du bist sie. Sie ist du. Du bist Essun.“ [S. 25]

Du verlässt die Stadt Tirimo, die Dir und Deinen Kindern Heimat sein sollte. Als Frau mit übernatürlichen Kräften (Orogene) hast Du das große Beben um die Stadt herum gelenkt und Dich damit der Gefahr der Offenbarung ausgesetzt. Denn Orogenie ist verboten, jene, die sie praktizieren, werden verfolgt. Doch das ist nicht der Grund, warum Du Tirimo verlässt. Du suchst nach Deiner Tochter Nassun, die Dein Ehemann Jija entführt hat. Nachdem er Deinen Sohn Uche ermordete, weil du deine Kräfte an die Kinder vererbt hast. Auf dem Weg durch das zerstörte Land triffst Du Hoa und Tonkee. Mit ihnen holt Dich Deine Vergangenheit ein.

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„Normale Menschen können sich nicht um Kinder kümmern, die … so wie sie sind.“ [S. 43]

Der Wächter bringt Damaya nach Yumenes in das Fulcrum, einer Schule, die Orogene ausbildet. Die anfängliche Freundlichkeit der Wächter wandelt sich in Grausamkeit, wenn es darum geht, die Kontrolle über die Kräfte zu lehren. Orogene und Wächter stehen im Dienst des herrschenden Sansi-Verbunds. Den Orogenen werden gemäß ihrer Fähigkeiten Aufgaben zugeteilt, sie kontrollieren den Kontinent.

„Was für eine Scheiße, denkt Syenit hinter ihrem Schutzschild aus freundlichem Lächeln. [S.73]

Syenit ist eine vierfach beringte Orogene des Fulcrum. Mit dem zehnberingten Alabaster soll sie ein Kind zeugen und die Hafenstadt Allia von Korallen befreien. Die Erledigung dieses Auftrags zieht weitreichende Konsequenzen nach sich. Für Synenit, für Alabaster und für den gesamten Kontinent mit dem unpassenden Namen Stille.

Die Schönheit der multiperspektivischen Erzählung

N.K Jemisin wagt in „Zerrissene Erde“ das multiperspektivische Erzählen und setzt es gekonnt um. Die Autorin zwingt dem Leser durch den Gebrauch des Erzählers in der zweiten Person die Identifikation mit der Protagonistin Essun auf. Was den Einstieg in die Geschichte nicht erleichtert, denn Essun ist zunächst keine Sympathin. Auf ihrer Flucht tötet sie Menschen, die sich ihr in den Weg stellen. Was Essun in ihrem Leben widerfahren ist, der Grund für ihre ungezügelte Wut, wird erst nach und nach klar. Zudem ist die Art der Magie, die die Protagonisten ausüben, fremdartig und unerklärlich. Es empfiehlt sich, zunächst die Anhänge I und II am Ende des Romans zu lesen, in denen die Fünftzeiten (also die langandauernden Winterperioden auf dem Kontinent Stille) und verschiedene Begriff erklärt werden

Damaya erzählt aus ihrem Leben am Fulcrum als personaler Erzähler. Ihre Geschichte hat jedoch nur wenig mit denen andere Magierschüler in der Fantasy-Literatur gemein. Es fehlt jegliche Kameradschaft unter den Schülern, ihr Leben dort ist ein einsames Martyrium.

Syenit und Alabasters Geschichte bildet die umfangreichste und zugleich ergreifendste Handlung des Romans. Syenit erzählt ebenfalls aus ihrer Perspektive in der dritten Person. Die beiden werden nie Geliebte, trotz oder auch wegen des erzwungenen Geschlechtsverkehrs, aber fürsorgliche Freunde. Aus der konfliktreichen Zweckgemeinschaft erwächst eine innige Verbindung, geprägt von Respekt, Toleranz und einer konsequent freiheitlichen Gesinnung. Der in Orogenie erfahrenere Alabaster nimmt zunächst die Funktion eines Mentors ein, jedoch erweist sich die neugierige Syenit aufgrund ihrer Lebensklugheit als ebenbürtig. Ihre intelligenten Gespräche erklären auch dem Leser die Welt von Stille. Das Kapitel, in dem sie einen Ort der Freiheit und eine Zeit des Glücks finden, vermittelt Wohlfühlatmosphäre in einer sonst durchgängig düsteren und gefährlichen Welt.

Eine andersartige Welt mit eigener Sprache

Für die Gesellschaft und Landschaft des Kontinents Stille führt N.K Jemisin viele fremdartige Begriffe und Wortschöpfungen ein. Dass diese sich dennoch leicht zuordnen lassen, liegt zum einen am gut sortierten Glossar, zum anderen an der kraftvollen und prägnanten Sprache der Autorin. N.K Jemisin beschreibt und benennt jede Situation unmissverständlich, mitunter verwendet sie eine harte Sprache und Schimpfwörter. Sie versteht sich jedoch auch auf eine poetisch- sensible oder erotische Sprache. Die Extremsituationen, in denen sich die drei Protagonistinnen befinden, erzeugen Wut und Schmerz, allerdings auch seltene und intensive Glücksmomente. N.K Jemisin findet die richtigen Worte und die treffende Tonlage, um jeden Moment dieser außergewöhnlichen Geschichte einzufangen.

Vergleiche zu großen AutorInnen sollte jeder Rezensent sparsam und sorgsam überlegt verwenden. Doch mit N.K. Jemisin und „Zerrissene Erde“ habe ich tatsächlich eine Autorin und einen Roman gefunden, der auf den Pfaden von Ursula K. Le Guins Werk wandelt. Sowohl der facettenreiche Sprachstil, als auch die überlegenen und dennoch scheiternden Helden, sowie die tiefsinnige Botschaft hinter der Geschichte erinnern mich sehr an die jüngst verstorbene, großartige Phantastik-Schriftstellerin. N.K Nemisins Apokalypse ist mehr, als düstere Endzeit-Fantasy. Es ist eine Parabel über die Arroganz des Menschen. Menschen die glauben, dass durch Fortschritt verursachte Probleme durch weiteren Fortschritt zu beheben sind.

 Das Ende ist fast schon gemein

 Deshalb werde ich nichts weiter darüber schreiben. Ich könnte Euch raten, mit dem Lesen der Trilogie zu warten, bis alle Bände ins Deutsche übersetzt vorliegen. Oder die englischsprachigen Originale: „The Fifth Season“, „The Obelisk Gate“, „The Stone Sky“ zu lesen. Doch dann gibt es vielleicht keinen weiteren Band, weil sich „Zerrissene Erde“ zu schlecht verkauft. So lest denn diesen verstörenden und wunderbaren Roman und leidet mit mir, bis der Nachfolgeband beim Knaur Verlag erscheint.

Zerrissene Erde –  N.K. Jemisin (Übersetzung Susanne Gerold)
Knaur Verlag
Taschenbuch
ET: 1. August 2018
ISBN: 978-3426521786
496 Seiten
Preis: 14,99€ [D]

Auf Englisch erschien der Roman unter dem Titel „The Fifth Season“ im Orbit Verlag.

 

 

 

 

#WomeninSciFi (40) Find Me – Laura van den Berg

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„Find Me“ ist eine eine ziemlich surreale außergewöhnliche Dystopie. Ein aggressiver Virus bricht in den USA aus, der bei den Infizierten in kürzester Zeit zu komplettem Gedächtnisverlust, silbernem Ausschlag auf der Haut, rapidem Verlust jeglicher motorischer und kognitiver Funktionen und nach etwa 10 Tagen schließlich zum Tod führt.

Joy scheint als eine der Wenigen immun gegen den Virus zu sein und sie nimmt in einem Krankenhaus in Kansas an einer medizinischen Studie teil, die das Ziel hat ein Gegengift zu entwickeln. Sie wartet an diesem Ort gemeinsam mit anderen Patienten isoliert von der Außenwelt auf das Ende der Epidemie.

Joy wurde als Baby von ihrer Mutter im Stich gelassen und sie wächst in einer ganzen Reihe unterschiedlicher Kinderheime und Pflegefamilien auf. In einem dieser Familien trifft sie auf Marcus, einen Jungen den sie liebt, der immer eine Maske trägt um sein vernarbtes Gesicht zu verstecken. Der Roman ist keine typische Dystopie mehr eine Auseinandersetzung mit Einsamkeit und Identität die für Joy vor und während der Epdemie gleichbedeutend wichtig sind.

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“Is there any greater mystery than the separateness of each person?”

Auch nachdem sie das Krankenhaus irgendwann verlässt um sich auf die Suche nach ihrer biologischen Mutter zu machen, hat sie stets das Gefühl das ein Teil von ihr immer eingesperrt sein wird.

„Find Me“ ist ein Roman den man in kleinen Portionen genießen sollte. Eine Geschichte voller Geheimnisse und Dunkelheit. Das Buch fühlte sich für mich fast wie zwei unterschiedliche Romane an. Eine dunkle Dystopie die in dem bizarren abgeschiedenen Krankenhaus spielt und die Geschichte eines Road Trips durch ein seltsames zerbrochenes Land.

“Hope is a seductive thing,“ he says. „Hope can make people lose all sense.”

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