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Die liebsten, die spannensten, die mich am meisten zum Nachdenken angeregt haben und es fehlen im Bild die verliehenen oder die, die ich als Hörbuch gehört habe:

Was waren eure liebsten in 2021? Ich freue mich auf ein weiteres Jahr mit Euch und danke für die Treue, die Kommentare, das Feeback, die Freundschaft. Ich wünsche Euch allen von Herzen ein tolles 2022 mit viel Glück, Gesundheit und Zeit zum lesen und nachdenken.

Hard Land – Benedict Wells

„In diesem Sommer verliebte ich mich, und meine Mutter starb.“

Ein cooler nostalgischer Trip zurück in die 80er samt Playlist und ich war kurz davor, mit der Liste an Filmen, die ich jetzt (wieder)sehen möchte in die nächste Videothek zu rennen. Die Lektüre war für mich das perfekte Buch gegen den Corona-Blues.

In diesem Sommer 1985 wird alles anders, als es zuvor je war. Es ist der Sommer seines Lebens. Der Sommer 1985, in dem er 16 wird, Freunde findet, über sich hinaus wächst und in dem seine Mutter stirbt.

Vermutlich hatte fast jeder von uns so einen prägenden Sommer in unserer Jugend, in dem ein großer Grundstein gelegt wurde, der uns zu dem Menschen machte, der wir später einmal wurden. Es ist gleichzeitig die schönste und die schrecklichste Zeit, weil man permanent auf diesem schmalen Grat herumeiert – noch nicht richtig erwachsen, aber auch längst kein Kind mehr. Wo man zum ersten Mal die ganz großen Gefühle erlebt, die den ohnehin schon hormonell durchgewirbelten jugendlichen Körper vollends ins Chaos stürzen. Verliebt sein, unsicher sein ob die Liebe erwidert wird oder auch nicht und fast alles passiert zum ersten Mal.

Benedict Wells neuer Roman Hard Land spielt in der fiktiven Kleinstadt Grady in Missouri und erzählt von all diesen ersten Malen, davon wie es ist, in den 1980ern jung zu sein, von Freundschaft, der ersten Liebe, von Trauer, Mut und Familie. Von Shopping Malls, kleinen Kinos, ersten Küssen, Begegnungen mit Alkohol und Drogen und die ersten Abstürze und Ernüchterungen, die zwangsläufig darauf folgen.

„Der Mercury raste durch die Kleinstadt, der Wind wehte uns ins Gesicht, wieder kam der Refrain, wieder grölten wir alle auf der Ladefläche mit, und ich ahnte: Egal, was kam, dieser Moment würde bleiben.“

Sam entwickelt sich in diesem Sommer von einem schüchternen Mathe-Nerd, der aufgrund seiner Ängste schon als Kind beim Psychologen war, zu einem Jungen, der sich mit Marty McFly identifiziert und dazu neigt, selbst in den schönsten Momenten an das Schlimmste zu denken, was gleich passieren könnte.

Das ist aber auch nicht verwunderlich, denn Sam hat es alles andere als leicht. Seine Mutter leidet nach einer Gehirntumor OP noch immer an den Folgen und die drohende Rückkehr des Tumors überschattet seinen Alltag. Zudem ist sein Vater schon länger arbeitslos, das Geld fehlt hinten und vorne. Da würde wohl jeder langsam den Optimismus verlieren bzw. von Ängsten gequält werden. Eigentlich planen die Eltern, ihn über die Sommermonate zu den Cousins nach Kansas zu schicken, um ihm zu helfen, Freunde zu finden und einen normalen Sommer zu verleben, doch das möchte Sam auf gar keinen Fall. Stattdessen heuert es als Aushilfe über den Sommer im Kino an und freundet sich dort mit der Tochter des Kinobesitzers Kirstie an, seiner heimlichen Flamme, mit Cameron und dem Supersportler „Hightower“ Brandon. In den dreien findet er zum ersten Mal im Leben eine richtige Clique, mit denen er Nacht für Nacht auf dem Dach des Kinos hockt, über Filme und die Zukunft spricht und versucht, mit dem emotionalen Rollercoaster seines Lebens fertig zu werden.

„Hard Land“ ist eine wunderbare Coming of Age Geschichte, die dem Genre vielleicht keine unfassbar neuen Erkenntnisse beschert, aber geht es nicht immer und für jeden Jugendlichen stets um Liebe, Freundschaft, Verlust und darum, die Kunst des Lebens zu lernen, sowie die Fähigkeit zu erkennen, dass Schwierigkeiten und Hindernisse der eigentliche Lebensweg sind und die wunderbaren Glücksmomente, die goldenen Ausnahmen zwischendrin?

„Hightower nickte. Und dann sagte er, dass ihn der Sport gerettet habe und ich mir etwas suchen solle, wo ich „Dampf ablassen“ könne. Aber dass das alles nichts Schlimmes sei. Es habe bisher kein Spiel und keine Prüfung gegeben, wo ihm die Wut nicht genützt habe. Denn die anderen Leute würden irgendwann aufgeben. Doch die Wütenden würden nie nachlassen. Und darüber dachte ich nach.“

Benedict Wells hat mich auch auf einen emotionalen Rollercoaster geschickt. Ich habe während der Lektüre definitiv in den 80ern gelebt, musste unbedingt „Zurück in die Zukunft“ wiedersehen, der Breakfast Club folgt die Tage und die Playlist im Nachwort läuft in Dauerschleife.

Eine melancholische, aber sonnig warme Hommage an die 80er und mein perfekter Impfstoff für die anstrengenden Corona-Tage.

Ich danke dem Diogenes Verlag für das Rezensionsexemplar und hier geht es zur Playlist.

Meine Woche

Gesehen: The Platform (2019) von Galder Gaztelu-Urrutia. Spanischer Sci-Fi Horror um eine Platform, ein geheimnisvolles Gefängnis mit einer unbekannten Anzahl von Ebenen und zwei Insassen, die einen unmenschlichen Kampf ums Überleben führen, der aber auch eine Chance auf Solidarität birgt. Fand ich gut.

Suicide Squad (2016) von David Ayer mit Margot Robbie, Will Smith, Viola Davis und Clara Delevigne. Superhero Film der auf der gleichnamigen DC-Comic Reihe beruht. Joah, kann man sehen, gibt bessere.

Angela Carter of Wolves and Women (2018) von Jude Ho. Ein düsterer Streifzug durch Angela Carters außergewöhnliches Leben mit seltenen Archiv- und Familienfotos und Beiträgen von Angelas Freunden, Familie, Studenten und Bewunderern.

Drum Wave (2018) von Natalie Erika James. Atmosphärischer Horror Short Film um eine junge Pianistin die mit ihrer Angst vor Mutterschaft konfrontiert wird, als sie in eine abgelegene Inselgemeinschaft mit bizarren Fruchtbarkeitsritualen einheiratet.

Gehört: Streichquartett in Es-Dur – Fanny Mendelssohn, Evigt Mörker – DEN SORTE DØD, Burial – God is an Astronaut, Dvergmál – Sigur Rós, Cities last Broadcast – Cryo Chamber, Fade Into You – Miley Cyrus, I know the End – Phoebe Bridgers, Chemtrails over the Country Club – Lana Del Rey, New World – Front Line Assembly

Gelesen: 185 Schauspielerinnen und Schauspieler haben sich im SZ-Magazin geoutet, Paramedics facing abuse in the Covid Crisis, How Nothingness became everything we wanted, dieses Interview mit Jodie Foster, Carolin Emcke zur Gefahr die in der Mitte der Gesellschaft lauert, wofür steht Alexej Nawalny, die AFD und der Verfassungsschutz

Getan: einen spannenden Zoom Call mit Benedict Wells, einen Geburtstags Zoom mit der Schwiegermama, seit langem mal wieder laufen gewesen, Yoga gemacht und allein und mit einer Freundin spazieren gegangen

Gegessen: Veganer Zitronenkuchen mit Pistazien

Getrunken: selbstgemachten Yogi-Tee

Gefreut: über tolles Feedback und wie hübsch der Februar aussieht

Geweint: nein

Geärgert: nein

Geklickt: auf diese Rede von Charlotte Knobloch, das Jahr 2020 als Episoden einer Endzeit-Serie, 10 ikonische Gebäude der amerikanischen Googie-Architektur

Gestaunt: der Mond in Echtzeit und in diesen Fotos, über diese Schneebilder, über diese schwebende Bedürfnisanstalt, über das Ulmer Nest – solarbetriebene Schlafzellen für Obdachlose und über diese wunderschönen Bilder von Nicolas Moegly

Gelacht: über diese Terminbürste

Gewünscht: in diesen Raum, dieses Notizbuch, diese Boxhandschuhe

Gefunden: nix

Gekauft: einen Wok

Gedacht: „Women have already decided abortion is legal“

Vom Ende der Einsamkeit – Benedict Wells

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Ich freue mich, auf dem Blog der Bingereaderin als eigentliche Küchenfee (und nicht als Literaturbloggerin) eine Gastrezension zu einem ganz wundervollen – soviel vorab – Buch schreiben zu dürfen. 

Benedict Wells zeichnet eindrucksvoll das Porträt einer Familie, deren Dasein durch den frühen Tod der Eltern, verursacht durch einen Autounfall, nicht nur erschüttert, sondern komplett auf den Kopf gestellt wird. Eben noch bewundert der 7-jährige Protagonist die Schönheit seiner Mutter und versucht, die Tiefgründigkeit seines Vaters zu durchdringen, schon stehen die 3 Geschwister als Waisen im Internat, in dem sie künftig – aufgrund des unterschiedlichen Alters – auf verschiedenen Fluren und damit weitestgehend getrennt voneinander leben werden. Dieses Leben im Internat verläuft bei allen dreien unterschiedlich, insbesondere, was den Umgang mit der Trauer angeht. Liz, die große Schwester, gerät zunehmend in einen Strudel aus Alkohol, Sex und Drogen, während Jules, der Protagonist,  eine Leere in sich spürt, die in einer sehr prägnanten, nachvollziehbaren Sprache daherkommt und daher für den Leser deutlich spürbar wird. Einzig Marty, der älteste Bruder, scheint einigermaßen die Kurve zu bekommen, findet Anschluss im Internat und lebt später in einer festen, dauerhaften Beziehung.

Überhaupt, das Buch strotzt nur so vor greifbaren Empfindungen, die in einer Sprache ausgedrückt sind, die sofort mitfühlen lassen, die tief gehen. 

„Was, wenn es Zeit nicht gibt? Wenn alles, was man erlebt, ewig ist und wenn nicht die Zeit an einem vorübergeht, sondern nur man selbst an dem Erlebten?“

In der Schule ist Jules ein introvertierter Außenseiter. Zunächst aus Mitleid setzt sich Alva, eine rothaarige Mitschülerin, neben ihn. Im Laufe der Zeit freunden sie sich zudem an. Zum Ende der Schulzeit bricht der Kontakt dann jedoch für mehrere Jahre ab, obwohl beide immernoch regelmäßig aneinander denken. 

Bei einem Wiedersehen ein paar Jahre später ist Alva zur Enttäuschung von Jules bereits verheiratet mit einem deutlich älteren Schriftsteller. Es folgt eine Zeit des gemeinsamen zusammenlebens zu Dritt, in deren Verlauf sich die Geschichte nochmals um 180 Grad wendet, aber ich möchte auch nicht zuviel verraten. 

„…erst spät habe ich verstanden, dass in Wahrheit nur ich selbst der Architekt meiner Existenz bin.“

Fakt ist jedoch, wer – wie ich – manchmal – und bei manchen Themen besonders – nah am Wasser gebaut ist, Sollte die letzten 50 Seiten nicht in der Öffentlichkeit lesen. Das Buch ist eine Ode an Tragik und Melancholie. Taschentuchalarm! 

Eine absolute Leseempfehlung von mir.