Erlesener Sommer – die August Bücher

Draußen war nicht immer so viel Sommer, wie ich es mir gewünscht hätte, aber ich habe mir den Sommer auf jeden Fall mit einer ganzen Reihe Bücher herbeigelesen. Der August war ein guter Lesemonat mit interessanten Entdeckungen, erneuten Begegnungen und ohne Ausfälle.

Ich starte gleich mal mit einer meiner größten überraschenden Entdeckungen. Ein Buch, das mir garantiert durch die Lappen gegangen wäre, hätte mich die wunderbare Susanne vom Diogenes Verlag nicht zu einer Autorinnen-Lesung/Zoom-Runde eingeladen. Leseexemplar bestellt, aufgrund vom Klappentext erst mal gar nicht so viel erwartet und dann war ich aber – peng – komplett umgehauen, von diesem überraschenden, ungewöhnlichen, bild- und sprachgewaltigen Werk:

Ohne Fürsorge und Liebe wächst der 11-jährige Martin am Rande eines Dorfes auf. Er hat nur seinen schwarzen Hahn und wird gemieden von den Dörflern, die das Tier für den Teufel halten. Doch nutzen sie den Jungen aus, wann immer sich die Möglichkeit bietet. Martin jedoch verfügt über ein reines Herz und einen wachen Verstand, der ihn Verbrechen erkennen lässt. Als er mit ansehen muss, wie ein schwarzer Reiter, der der Legende nach jedes Jahr Kinder entführt, ein Mädchen raubt, steht für ihn fest, dass er die verschwundenen Kinder finden und dem Spuk ein Ende setzen muss. Mit dem Maler verlässt Martin sein Dorf und bricht auf zu einer Odyssee, auf der er nicht nur menschlichen Abgründen nachspürt, sondern auch seinen Fähigkeiten.

Ein Roman über die Hoffnung in einer dunklen Welt, über Mut und den Sieg der Rationalität über Aberglauben und Hass. Großartige Sprache – unvergessliche Bilder, dieses Buch wird, glaube ich, durch die Decke gehen und ich würde mich für die sympatische Autorin von Herzen freuen.

Witziger Zufall war die Verknüpfung, die in meinem Hirn passierte zwischen dem Maler in diesem Buch, der irgendwann im Mittelalter in einer Kirche ein Wandgemälde anfertigt und dem Roman „Ein Monat auf dem Land“, in dem ein junger Restaurateur in den 1920er Jahren ein Wandgemälde aus dem Mittelalter in einer Kirche freilegt. Was für ein witziger Zufall…

„Alles an ihm wirkt ruhig und bedacht. Und das macht ihn den Leuten im Dorf unbequem. Sie haben es nicht gern, dass einer zu lebendig ist oder zu ruhig.“

Ich danke dem Diogenes Verlag für das Rezensionsexemplar.

Ein wunderschöner Roman über eine besondere Freundschaft, die Ruhe auf dem Lande und den Einfluss der Vergangenheit. Die junge Sally ist von zu Hause weggelaufen und trifft auf Liss, die einen eigenen Bauernhof betreibt. Liss nimmt Sally bei sich auf und zwischen den beiden Frauen entwickelt sich eine Beziehung, die sie nicht erwartet hatten.

Vor allem die Beschreibungen der Landschaft und des Geschehens auf dem Hof schaffen eine gewisse Ruhe beim Lesen. Die Langsamkeit, mit der Liss und Sally mit ihren Händen Birnen und Trauben pflücken, Kartoffeln ausgraben und all die anderen Arbeiten verrichten, spiegelt sich auch im Schreibstil des Romans wider. In aller Ruhe. Der ruhige Bauernhof, das friedliche Dorf mit seinen Kirchenglocken, das Tal, in dem der Nebel verweilt… Die Atmosphäre der Umgebung ist wunderschön wiedergegeben.

Ein Buch, das garantiert blutdrucksenkende Wirkung hat und man es kaum abwarten kann zum Markt zu kommen, um verschiedene Birnensorten zu kaufen, die man während des Lesens verzehrt. Das perfekte Spätsommerbuch und ein Autor, von dem ich sehr gerne noch mehr lesen möchte.

Vielleicht würde Sonnenlicht so schmecken, wenn es durch das Laub alter Bäume direkt auf die Zunge fiele.

Tom Birkin wird beauftragt, ein mittelalterliches Wandgemälde in einer Kirche freizulegen und zu restaurieren, das vor über vierhundert Jahren verdeckt wurde. Als er die Kalk- und Schmutzschichten fachmännisch abblättert, findet er an den Wänden unerwartete Motive von berauschender Qualität. Auch was er über die Menschen, insbesondere über sich selbst, erfährt, ist unerwartet: Der Prozess der Restaurierung ist für ihn der Beginn einer Transformation und wunderbar erholsam.

Und Erholung hat er bitter nötig. Der 1. Weltkrieg hat ihn an Leib und Seele zerstört, er kehrt entfremdet in sein altes ziviles Leben zurück. Während seine Gefühle in der heutigen Zeit auf eine posttraumatische Belastungsstörung zurückgeführt werden können, hatte Birkin 1920 kein Ventil für seine Gefühle. Seine Frau Vinny hatte ihn wegen eines anderen Mannes verlassen, desillusioniert vom Leben als ungewollter Single in London nimmt Birkin den Restaurantions-Job in einem kleinen Dörfchen namens Oxgodby an.

J.L. Carr schafft es auf elegante Weise, eine große Bandbreite und Tiefe auf nur 102 Seiten zu vereinen: Geheimnisse, Liebe, Tragödie, Humor, soziologische Analysen, verlorene Chancen, Freundschaft, Kunst und allgemeine Schönheit. Es ist eine nuancierte Mischung, die geschickt ein paar dunkle Untertöne in eine ländliche Idylle einwebt.

Ja, es wird ein einziger Monat beschrieben, mit wenig Plot und es passiert auch nicht viel, aber Birkin verlässt Oxgodby verwandelt, verändert und auch verbessert und ich hatte das Gefühl tatsächlich auch. Ein Buch, das einen ein kleines bisschen besser macht.

Ein wunderbarer leiser Roman, der ganz große Lust auf Sommerabende in der englischen Countryside macht.

Das mag ein bisschen nach Larifari klingen, aber genau darum geht es: Wenn man sehen oder sich ausmalen kann, was für ein Kommen und Gehen an einem Ort vom ersten Tageslicht bis zur Abenddämmerung geherrscht hat, wie die Menschen vor den Bildern niederkauerten und andächtig nickend Brüste und Köpfe mit Fingern berührten, die gerade noch mit schmutzigen Kochtöpfen hantiert hatten, wie sie mit ihren ungewaschenen Gesichtern zu dem einzigen Gemälde hinaufstarrten, das sie ihr Leben lang zu Gesicht bekommen würden – nun, dann legt man sich noch ein bisschen mehr ins Zeug, dann macht man sich nicht nur mit alkoholischer Salzsäurelösung, sondern auch mit Gefühl ans Werk.

Als Iris zur Beerdigung ihrer Großmutter nach Hause zurückkehrt, stellt sie erstaunt fest, dass diese ihr das Haus vererbt hat, obwohl ihre Mutter und ihre beiden Schwestern noch leben. Während sie in dem Haus wohnt und versucht zu entscheiden, ob sie es behalten will, wird sie von den Erinnerungen an die Sommer, die sie dort verbracht hat, überrollt.

Eine Geschichte über das Erinnern und das Vergessen, denn vor ihrem Tod litt ihre Großmutter an Alzheimer. Ein trauriger und ergreifender Blick auf eine Frau, die sich jeden Tag ein bisschen mehr verliert.

Schillernd und magisch sind die Erinnerungen an die Sommerferien bei der Großmutter, geheimnisvoll die Geschichten der Tanten. Katharina Hagena erzählt von den Frauen einer Familie, mischt die Schicksale dreier Generationen.

Ein genussvoller kluger Roman der nach Sommer duftet und Lust auf Äpfel, Johannisbeeren und Marmeladekochen macht und mich sehr an lange warme Sommertage mit meiner Oma erinnert hat.

Wer wie ich ohne Vater aufwächst, muß erst durch Beobachtung lernen, was das eigentlich ist, so ein Vater. Als Kind studierte ich neugierig, aber mit sicherem Abstand die Väter in den Familien meiner Freundinnen. Insgeheim fand ich sie interessant, aber auch ein wenig unheimlich.

Da, wo bei anderen der Vater einfach angewachsen ist, stehe ich stets aufs Neue vor einem fremden Geräteteil, von dem man nicht weiß, wo es in meinem Apparat hingehört. Es fällt bei jeder Erschütterung von mir ab. Im Grunde brauche ich es nicht.

Mely Kiyak schreibt darüber was Frausein bedeutet, sie erzählt von den Gesprächen über Weisheit und Nichtwissen, die sie als Mädchen mit dem Vater führte. Von den Cousinen, die vom Begehren erzählten. Vom Aufwachsen zwischen Ländern und Klassen, zwischen „Herkunftsgepäck“ und Neugier auf unbekannte Erfahrungen. Vom Alleinsein, von Selbsterkundung, von Familie. Was ist Weiblichkeit, wenn man den öffentlichen Blick überwindet und zurückbleibt mit sich selbst? Aufrichtig, lebenslustig, zärtlich und entwaffnend klug erinnert Mely Kiyak daran, dass es die Verhältnisse sind, die einem beibringen, wie man liebt und lebt.

Wieviel man in einem so schmalen Buch anstreichen kann, was für eine poetische Sprache – ein Buch das klüger macht, dem ich wunderbare Gedanken verdanke und das einen gleichzeitig beglückt und tieftraurig zurück läßt. Eines meiner Lese-Highlights 2021.

Das Erlesen der Welt stürzte mich regelmäßig in gedankliche Krisen. Das eigene Erleben hingegen hatte kaum Auswirkung auf meine psychische Stabilität.

Das Lesen der Bücher aus der Stadtbibliothek war ein Vergnügen. Das Lesen der Seminarliteratur ist eine Qual. Ich hätte jemanden gebraucht, der mich betreut und mir die Sätze erklärt, die ich las. Ich war mit Sufismus aufgewachsen, mit altorientalischer Dichtung, mit politischen Theorien, mit einer Kultur, verwoben mit Elementen, die nicht einmal als Schatten in den Fächern vorkamen, die ich studierte. Plötzlich war ich umgeben von Studenten, die immer alles bereits kennen. Sie sind gebildete Kinder gebildeter Eltern.

Ich weiß, jede Silbe in diesem Satz ist wahr: Wer eine Schule eröffnet, schließt ein Gefängnis.

Ein Haus an einem märkischen See ist das Zentrum, fünfzehn Lebensläufe, Geschichten, Schicksale von den Zwanzigerjahren bis heute ranken sich darum. Das Haus und seine Bewohner erleben die Weimarer Republik, das Dritte Reich, den Krieg und dessen Ende, die DDR, die Wende und die Zeit der Nachwende. Jedem einzelnen Schicksal gibt Jenny Erpenbeck eine eigene literarische Form, jedes entfaltet auf ganz eigene Weise seine Dramatik, seine Tragik, sein Glück. Alle zusammen bilden eine Art kollektives literarisches Gedächtnis des letzten Jahrhunderts, geformt in einer Literatur, die nicht nur großartige Sätze und Bilder zu bieten hat, sondern die auch Wunden reißt, verstört, beglückt, verunsichert und versöhnt.

Ein Roman, den ich gemeinsam mit Miss Booleana auf Goodreads gelesen habe, was mir wieder großen Spaß gemacht hat. Der Roman selbst konnte mich allerdings nicht so in seinen Bann ziehen, wie ich es aufgrund des Themas eigentlich erwartet hätte und auch im Vergleich zu Erpenbecks „Gehen, Ging, Gegangen“, das mich förmlich umgehauen hatte.

Ich wurde nicht warm mit dem Buch. Es springt durch die Zeiten, ich wußte oft nicht wo ich mich gerade befinde, wer gerade spricht und die einzelnen Hausbewohner blieben mir leider fast alle recht fremd und distanziert.

Wo der neue Mensch anfangen soll, kann er nur aus dem alten wachsen.“

Jana hat ihren Vater nie kennengelernt. Alles, was sie über ihn weiß, ist, dass er als Kapitän auf der MS Mozart arbeitet, einem eher wenig glamourösen Kreuzfahrtschiff auf der Donau. Also bucht sie sich kurzerhand eine Woche dort ein. Ob sie sich ihm zu erkennen geben wird, weiß sie noch nicht. Mit knapp hundert Gästen im Seniorenalter und der trinkfesten Bordbesatzung beginnt die Fahrt von Passau nach Wien. Mit großer Sensibilität erzählt Ilona Hartmann die Geschichte einer jungen Frau auf der Suche nach den eigenen Wurzeln. Ein Roman voller Situationskomik und ungewöhnlicher Begegnungen, aber auch der Beginn einer zärtlichen, emotionalen Annäherung zwischen Vater und Tochter, die gerade erst lernen, was es heißt, einander Familie zu sein.

„Emanzipation war im Dorf eine Freizeitbeschäftigung. Eine, der man sich als Frau nur zuwandte, wenn man im klassischen Modell versagt oder sich bewusst dagegen verweigert hatte, also selber Schuld war. “

Noch eine große positive Überraschung. Der Autor war mir völlig unbekannt, wieder ein Roman, der seltsam zeitlos wie „Der Junge mit dem schwarzen Hahn“ irgendwo in einer unbestimmten Zeit im Mittelalter spielt und von Anfang an an einen Folk-Horror Film erinnert.

Ein abgelegenes, von Wäldern umschlossenes Dorf. Einige Bauern führen hier ein einsames und zufriedenes Dasein, das von Ereignissen kaum berührt wird. Eines Tages geschieht etwas vermeintlich Belangloses: Einer der Bauern findet auf einer Wiese am Dorfrand ein Seil. Er geht ihm nach, ein Stück in den Wald hinein, kann jedoch sein Ende nicht finden. Neugier verbreitet sich im Dorf, ein Dutzend Männer beschließt, in den Wald aufzubrechen, um das Rätsel des Seils zu lösen. Ihre Wanderung verwandelt sich in ein ebenso gefährliches wie bizarres Abenteuer: Das Ende des Seils kommt auch nach Stunden nicht in Sicht – und die Existenz des ganzen Dorfes steht auf dem Spiel.

Konnte es gar nicht aus der Hand legen, spannend, atmosphärisch, düster und wunderbar.

Wenn das Glück zu groß wird, wird es zu einem Leid.

Ein verhafteter französischer Rechtsanwalt im besetzten Paris des II. Weltkriegs versucht der willkürlichen Hinrichtung zu entgehen. Jean-Pierre Chavel kann sich während der Besatzungszeit durch die Deutschen sein Leben von einem Mithäftling, der sich für ihn hinrichten läßt, erkaufen. Dafür überschreibt er der Familie des todkranken Mithäftling Geld und Besitz. Nach Kriegsende kehrt Chavel auf sein Gut zurück und verdingt sich unter falschem Namen bei den neuen Besitzern. Er verliebt sich in die Schwester des für ihn Hingerichteten, die ihm von ihrem Hass auf Chavel berichtet. Als ein gesuchter Kollaborateur auftaucht und sich als Chavel ausgibt, führt das zur Katastrophe.

“An artist paints his picture not in a few hours but in all the years of experience before he takes up the brush, and it is the same with failure.”

„The Tenth Man“ war unsere August Lektüre im Book Club und es war wieder eine spannende und durchaus kontroverse Diskussion. Wir wissen jetzt, welche unserer Bookclub Kolleginnen uns eher geopfert hätten in einem ähnlichen Szenario, wer sich hingegen für die anderen aufgeopfert hätte 😉

Man merkt diesem schmalen Roman an, dass er ursprünglich als Film-Script für MGM gedacht war und dort aus welchen Gründen auch immer in einer Schublade vor sich hinmoderte, bis er in den 1980er Jahren zufällig entdeckt und endlich veröffentlicht wurde. Mir hat er gut gefallen, ein klassischer Graham Greene – allerdings kommt er nicht an meine Lieblingsbücher von ihm „The End of the Affair“ und „Stamboul Train“ heran.

Das Buch wurde 1988 mit Anthony Hopkins und Kristen Scott Thomas verfilmt und ist derzeit in ganzer Länge auf YouTube zu finden. Mir hat er gut gefallen:

OK – jetzt ihr: Welches der Bücher kennt ihr bereits, teilt ihr meine Begeisterung, konnte ich euch auf irgendwas besonders Lust machen? Lasst doch mal hören:

Hier noch mal die Bücher im Überblick:

  • Junge mit dem schwarzen Hahn – Stefanie vor Schulte erschienen im Diogenes Verlag
  • Alte Sorten – Ewald Arenz erschienen im Dumont Verlag
  • Ein Monat auf dem Land – J. L. Carr erschienen im Dumont Verlag
  • Der Geschmack von Apfelkernen – Katharina Hagena erschienen im Kiepenheuer & Witsch Verlag
  • Frau sein – Mely Kiyak erschienen im Hanser Verlag
  • Heimsuchung – Jenny Erpenbeck erschienen im Penguin Verlag
  • Land in Sicht – Ilona Hartmann erschienen im Blumbenbar Verlag
  • Das Seil – Stefan aus dem Siepen erschienen bei DTV
  • The Tenth Man – Graham Greene erschienen im Penguin Verlag

Short and Sweet – Gemischte Tüte

Short and Sweet kommt ja oft, wenn ich ein bisschen faul bin für elaborierte Rezensionen, das soll gar nicht wertend sein den Büchern gegenüber, die ich dann nur kurz bespreche. Habe mal die liegengebliebenen der letzten Wochen (und einmal fast schon Monate) zusammengesucht, damit ich sie endlich ins Regal räumen kann und sie aufhören, mich so vorwurfsvoll anzuschauen.

Mein großes Highlight in diesem Stapel war „Night Film“ von Marisha Pessl, eine Autorin, die mit ihrem Debut „Special Topics in Calamity Physics“ vor ein paar Jahren für ordentlich Aufsehen in der Literaturbranche sorgte. Zusammen mit Jonathan Safran Foer galt sie als literarisches Wunderkind, wurde aber gleich auch mit ihm als Vertreterin der „Streber-Literatur“, der show-offs, in einen Topf geworfen.

Ich mochte ihr Debut sehr, mag auch Safran Foer und daher haben mich diese Spitzen überrascht, habe sie aber weitestgehend ignoriert und war erfreut, dass ein weiterer Roman von ihr erschienen ist, der sich dann auch noch mit dem Genre Horror-Film beschäftigt. Die Aufmachung erinnert entfernt an Mark Z Danielewskis „House of Leaves“ und die Geschichte um den Selbstmord der Tochter des mysteriösen Horrorfilm-Regisseurs Stanislav Cordova, der seit über 30 Jahren nicht mehr in der Öffentlichkeit gesehen wurde, hatte für mich definitiv Pageturner-Qualitäten.

“Mortal fear is as crucial a thing to our lives as love. It cuts to the core of our being and shows us what we are. Will you step back and cover your eyes? Or will you have the strength to walk to the precipice and look out?“

Nicht wirklich gruselig, aber düster und atemberaubend spannend, ein Thriller der Extraklasse, der Lust aufs Gruseln macht.

„Solitaire“ von Kelly Eskridge entführt uns in eine nicht all zu weit entfernte Zukunft, in der es tatsächlich endlich Weltfrieden gibt. Als Symbol der Hoffnung wurden alle Kinder, die genau in der Sekunde geboren wurden, als die Friedensverhandlungen beendet wurden, zu „Hopes“ ernannt und werden auf ihre Rolle als künftige Aushängeschilder der globalen Administration vorbereitet.

Die „Hope“ des weltweit einzigen Konzernstaates ist Ren „Jackal“ Seguara. Als Ren für eine fürchterliche Katastrophe die Schuld gegeben wird, bricht die Ko Corporation, ihr Heimatland sozusagen, jegliche Verbindung mit ihr ab und verurteilt sie zu einer fürchterlichen Strafe. Sie wird im Rahmen eines Experiments in eine Virtual Reality Isolationshaft gebracht, wo sie die nächsten 8 Jahre allein in ihrem Geist eingesperrt wird, ohne jeglichen Kontakt von außen.

„When we are left all alone is that when we find out who we truly are?“

Was mir an diesem stylischen Sci-Fi Roman unter anderem gut gefallen hat, war die absolute Selbstverständlichkeit mit der Ren eine Freundin hat und das auch ohne große Liebesdramen oder Dreiecksgeschichten, sondern von der ersten Seite an war klar, dass sie mit Snow zusammen ist. Eine willkommene Abwechslung.

Richtig kaugummibunt wird es dann bei „Knallmasse“ von Ulrich Holbein, einem durchgeknallten Science-Fiction Märchen. Klingt als hätte es George Orwell mit Lewis Carroll geschrieben, nachdem sie sich durch Aldoux Huxleys komplette LSD-Vorräte gearbeitet hatten.

Eine Zusammenfassung erscheint mir ziemlich unmöglich daher kupfer ich mal die Kurzbeschreibung auf dem Buchrücken ab um hier ordentlich Appetit auf diesen Roman zu machen, der im Übrigen bereits 1993 erschienen und liebevoll illustriert vom Humunculus Verlag wieder aufgelegt wurde.

„Es knallt und zwischt. Roboter Knallmasse lebt mit seinesgleichen im Staat des Dröhnens DeziBel, wo man das Klobige, Harte schätzt und das Weiche, Runde verabscheut. Als sich jedoch durch einen Sportunfall siene Weltsicht verkehrt und er dem Organischen plötzlich zugetan ist, hat er den Platz in sienem bisherigen Lebensraum verwirkt. Der Staatsapparat macht unterbittlich Jagd auf den Abweichler. Mit zwei menschenähnlichen Wulwiletten gelingt Knallmasse die Flucht ins kunterbunte Weltall, wo ein Abenteuer komischen Ausmaßes auf sie wartet.“

Ich danke dem Humunculus-Verlag für das Rezensionsexemplar.

Kluge Gedanken für Leserinnen in allen Lebenslagen aus dem Elisabeth Sandmann Verlag ist eine Hommage an die lesende Frau und ich habe darin für meine Serie „Awesome People (Binge)Reading auf Facebook noch ein paar sehr schöne Motive gewonnen. Die Bilder sind wunderbar, zeigen überwiegend eher unbekanntere Leserinnen in abgefahrenen Positionen, das ganze wird von literaturbezogenen Zitaten geschmückt. Ein Buch das man gerne durchblättert und dass das perfekte Coffee-Table-Büchlein für die lesende Frau von Welt ist 😉

Einzig die Auswahl der Zitate fand ich gelegentlich etwas einseitig, einige Autorinnen sind dutzenfach vorhanden, ein paar, die gut gepasst hätten, fehlen leider gänzlich. Aber das ist jammern auf hohem Niveau, wer noch ein passendes Geschenk für eine Freundin oder sich selbst sucht, der kann hier beruhigt zugreifen.

Mein letztes Buch für heute hätte ganz wunderbar in die Short and Sweet – Illustre Runde gepasst, da hatte ich es allerdings noch nicht, aber so ein Geburtstag sorgt ja immer wieder für Neuzugänge und somit habe ich jetzt auch Haruki Murakamis „Schlaf“ in meiner Sammlung.

„Der Zustand, in dem ich in dieser Welt lebte und existierte, war wie eine vage Halluzination. Bei einem Windstoß, glaubte ich, würde mein Körper bis ans Ende der Welt geweht, an einen Flecken am Ende der Welt, den ich nie gesehen und von dem ich nie gehört hatte. Ewig wären mein Körper und mein Bewusstsein voneinander getrennt.“

Illustriert wurde es wieder mehr als genial von der wunderbaren Kat Menschik. Die Geschichte handelt von einer Frau, die seit siebzehn Tagen absolut kein Auge zumachen kann. Während Mann und Sohn nachts schlafend in ihren Betten liegen, beginnt für die namenlose Erzählerin ihr zweites Leben, das bald deutlich aufregender ist, als ihre immer gleichförmigen Tage.

Die 30jährige erzählt niemandem von ihrer Schlaflosigkeit, einzig der Leser erfährt davon. Es gibt keine Anzeichen von einsetzendem Wahnsinn oder anderen üblichen Symptomen nach einer derart langen Zeit der Schlaflosigkeit. Murakami hat sich ganz sicher intensiv mit dem Thema beschäftigt, ich fand die Idee unglaublich spannend, muss aber sagen, es handelt sich meines Erachtens um eine etwas schwächere Geschichte vom Meister. Aber auch hier jammern auf hohem Niveau. Ein Buch das jeder Murakami-Fan in seiner Sammlung braucht und spätestens in der nächsten schlaflosen Nacht werde ich es noch einmal hervorholen…

Das wars für heute meine Lieben. Hier noch mal kurz in der Übersicht die besprochenen Bücher dieser Short und Sweet Folge:

  • Marisha Pessl – Night Film. Im deutschen unter dem Titel „Die amerikanische Nacht“ im Fischer Verlag erschienen
  • Kelley Eskridge – Solitaire. Bislang nicht auf deutsch erschienen. Ansonsten im Small Bear Verlag.
  • Ulrich Holbein – Knallmasse. Erschienen im Homunculus Verlag
  • Kluge Gedanken für Leserinnen in allen Lebenslagen. Erschienen im Elisabeth Sandmann Verlag
  • Haruki Murakami – Schlaf. Erschienen im Dumont Verlag.

Short and Sweet – eine illustre Runde

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Los gehts mit Haruki Murakamis „Birthday Girl“, eine Geschichte die ich vor einigen Jahren schon in dem von ihm herausgegebenen Kurzgeschichtenband „Birthday Stories“ gelesen habe. Eine Geschichte, die ich mochte, die mir aber nicht übermässig im Gedächtnis geblieben war.

Das wird sich dank Kat Menschiks Illustrationen definitiv ändern. Menschik und Murakami sprechen eindeutig die gleiche (Bild)Sprache, die Bilder treffen so sehr den Kern seiner Geschichten, jedes einzelne davon würde ich mir auch als Druck an die Wand hängen.

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„Birthday Girl“ ist die Geschichte eines 20jährigen Mädchens, das als Kellnerin in einem Restaurant arbeitet und eines Abends dem alten Restaurant-Besitzer in seiner Wohnung über dem Restaurant das Abendessen serviert. Durch einen Zufall erfährt der Mann, dass sie Geburtstag hat und schenkt ihr einen Wunsch – egal was es ist. Nur einen beliebigen Wunsch, aber einmal geäußert, kann er nicht mehr zurückgenommen werden.

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Den Wunsch selbst erfährt der Leser nie. Nur dass es nichts normales ist wie „schöner oder reicher werden“. Denn …“ich kann mir die Auswirkungen nicht so recht vorstellen, falls so etwas tatsächlich einträte. Vielleicht würde es mir sogar über den Kopf wachsen. Ich habe das Leben noch gar nicht im Griff. Wirklich nicht. Ich weiß nicht, wie es funktioniert.“

Mir gefällt besonders, wie man bei jeder seiner Geschichten ein Stück Murakami in seinen Protagonisten entdecken kann. In dieser Geschichte greift er auf seine eigenen Erfahrungen als Kellner in einem Café zurück, als er zwanzig Jahre alt war.

Ich danke dem Dumont-Verlag für das Rezensionsexemplar.

Wir bleiben noch ein bisschen bei meiner Lieblings-Illustratorin Kat Menschik und lassen uns von ihr nach Schweden entführen und zwar zu:

„Die Bergwerke zu Falun“ von E. T. A. Hoffmann

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E.T.A. Hoffmann hat surrealistische Geschichten geschrieben, lange bevor der Begriff überhaupt benutzt wurde. Ich halte ihn für einen der Urgesteine des Horror/SciFi/Phantastik-Genres und seine Geschichten sind auch fast 200 Jahre nach Erscheinen immer noch zeitlos und einzigartig.

Was ihn meines Erachtens mit Murakami verbindet ist die Tatsache, dass auch seine Protagonisten sehr viel von ihm selbst enthalten, seiner Umgebung, seinen Frauen, denen er hinterherlief, in seinem viel zu kurzen Leben.

Ein „Jack-of-all-Trades“ der als Maler, Komponist, Jurist, Kritiker und Schriftsteller unterwegs war, es gibt wenig im kulturellen Bereich, dass er nicht zumindest einmal ausprobiert hätte und in den meisten Bereichen war er unglaublich gut.

Seine Geschichten sind psychologische Studien, die sich mit dem Übernatürlichen, Wahnsinn, der Technik seiner Zeit aber auch mit märchenhaften Dingen beschäftigen. Immer wenn man gerade glaubt zu ahnen, in welche Richtung er mit seiner Geschichte will, biegt er ab und der Leser ist urplötzlich wo ganz anders.

Seine wie im Fiebertraum gesponnenen Metaphern und Vergleiche zeichnen ein berückendes Bild seiner sich oft in Bedrängnis fühlenden Progagonisten. Oft sind sie halb verrückt, von unerfüllter Liebe zu einer Frau gequält und wenn es etwas gibt, was ich an ihm nicht so mag, dann ist es seine schablonenhafte Beschreibung der Frauenfiguren in seinem Werk.

Die Geschichte „Die Bergwerke zu Falun“ ist schnell erzählt. Alles fängt mit dem Fest der Matrosen an, die nach einer langen Seereise für die ostindische Gesellschaft wieder in Schweden angekommen sind und ihre Rückkehr feiern. Nur Elis Fröbom sitzt allein und niedergeschlagen da. All seine Motivation auf See rührte daher seiner Mutter bei der Rückkehr ein gutes Leben zu ermöglichen, bei der Rückkehr muss er feststellen, dass sie zwischenzeitlich gestorben ist und er weiß nicht recht wohin jetzt mit sich und seiner Trauer.

Als ein alter Bergwerksarbeiter erscheint und ihm die wunderbare Welt der Minen und Bergwerke ans Herz legt überlegt er, sich die Seefahrt an den Nagel zu hängen und statt dessen im Bergwerk zu Falun anzuheuern. Fieberhaft träumt er nachts von einer kristallenen Welt mit einer Königin, in die er sich verliebt und macht sich am nächsten Tag tatsächlich auf nach Falun. Doch dort angekommen schreckt er beim Anblick der Mine zurück:

„Elis Fröbom schritt guten Mutes vorwärts, als er aber vor dem ungeheuern Höllenschlunde stand, da gefror ihm das Blut in den Adern und er erstarrte bei dem Anblick der fürchterlichen Zerstörung“

Auch nach dem dritten Lesen entdecke ich jedes Mal wieder etwas Neues in den versteckten Hinweisen und den nuancierten Betrachtungen. Nicht zu vergessen die Illustrationen, die auch aus dieser Geschichte ein absolutes Juwel machen:

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Ich stelle mir jetzt Murakami und ETA beim gemeinsamen Dosenbier vor, in ihrer Welt sollten ein paar hundert Jahre Zeitunterschied und Sprachbarrieren keine Probleme darstellen.

Wer glaubt, dass es jetzt mega realistisch zugeht, nur weil es mit Bertolt Brecht weitergeht, der hat sich gehörig in den Finger geschnitten. Brecht kann auch anders meine Herrschaften, der kann sich auch mal gepflegt Gedanken machen, wie es wohl wäre „Wenn die Haifische Menschen wären“.

Bertold Brecht – Wenn die Haifische Menschen wären“

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Die Parabel ist eine der etwas längeren Geschichten rund um Herrn K. Hier tauchen wir ab in die Welt der Haifische, die ein menschliches Leben führen. Sie schicken ihre Kinder in die Schule, wo sie neben menschlichen Werten und Normen auch andere Sachen lernen wie Geografie, Rechnen und Religion.

„Wenn die Haifische Menschen wären«, fragte Herrn K. die kleine Tochter seiner Wirtin, „wären sie dann netter zu den kleinen Fischen?“ hier startet Brecht seinen philosophisch-kritischen Blick in die Welt der Haifische und Menschen. Zitate wie „Bankraub ist eine Initiative von Dilettanten. Wahre Profis gründen eine Bank“ sind überraschend aktuell.

Eine bibliophile Ausgabe vom Buch-Onlineversand Fröhlich & Kaufmann mit wunderschönen Illustrationen, die den Text wunderbar ergänzen und interpretieren. Freue mich, auf der Buchmesse in Leipzig bei diesem Büchlein zugeschlagen zu haben, ein schöner Neuzugang für meine in die Jahre gekommene Brecht-Sammlung.

Foto: Froehlichundkaufmann.de

Habt ihr Lieblings-Illustratoren oder illustrierte Bücher die ihr mir empfehlen könnt? Bin gerade mächtig auf den Geschmack gekommen.

Auf Youtube gibt es noch einen animierten Cartoon „If Sharks were Men“:

Hier noch mal im Überblick:

Haruki Murakami – Birthday Girl, Dumont Verlag
E. T. A. Hoffmann – Die Bergwerke zu Falun, Galiani Verlag
Bertold Brecht – Wenn die Haifische Menschen wären, Fröhlich & Kaufmann

Day 3 Book-a-Day-Challenge: The book I most often give as a gift

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Foto: Sab Qu

No Challenge without Mr Murakami. This one is my favourite books ever and well what can I say. I always had a bit of the missionary in me, when it comes to books (sorry no religion) so this would be the book I have most often recommended and/or given as a present in order co make new converts for the Murakami movement.

Kafka Tamura, a teenage boy runs away from home in a mix of searching for his long-missing mother and escaping from a dark prophecy. There is an old rather simple guy, Nakata, who never really was his normal self after what happened to him in the war who is drawn to Kafka for unclear reasons.

“Memories warm you up from the inside. But they also tear you apart.”

Kafka lives in a library (imagine !) and the reader enters a world where cats talk, Johnny Walker appears, fish fall from the sky and a few gruesome killings happen as well.
To learn if he finds his mothers and can unravel this knotted mystery get the book or become my friend and some day you will probably get it as a present.

“When you come out of the storm, you won’t be the same person who walked in. That’s what this storm’s all about.”

Which book have you been giving away most often ?

Das Buch ist auf deutsch unter dem Titel „Kafka am Strand“ im Dumont Verlag erschienen.

Von Beruf Schriftsteller – Haruki Murakami

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Würde Haruki Murakami ein Telefonbuch veröffentlichen, würde ich das vermutlich auch kaufen. Es gibt tatsächlich keinen Autor, dessen „Sound“ ich so sehr schätze. Der typische einsame Protagonist, der den Großteil seiner Zeit alleine lesend oder durch die Straße wandernd verbringt, dabei Musik hört und sich ab und an was Leckeres kocht – das ist mein männliches introvertiertes Pendant. Sein Schreibstil wirkt so beruhigend auf mich, so meditativ, ich bin vollkommen davon überzeugt, dass man seine Bücher auf Rezept bekommen sollte, da sie blutdrucksenkend wirken.

Als ich diesen Abschnitt las, dachte ich sogar, wir seien siamesische Zwillinge:

„Ich fraß alles Gedruckte in mich hinein, als würde ich es mit einer Schaufel in ein verzehrendes Feuer schippen. Ich verschlang und verdaute (vieles konnte ich vielleicht auch nicht verdauen) ein Buch nach dem anderen, jeden Tag, und so war in meinem Kopf kaum Platz für irgendwas anderes. Mitunter glaube ich, dass das fast ein Glück für mich war. Denn hätte ich ernsthafter über das Gekünstelte, Widersprüchliche und Falsche um mich herum nachgedacht und mich den Dingen gestellt, die ich nicht einsehen konnte, wäre ich vielleicht in einer Sackgasse gelandet und Grübeleien anheimgefallen.“

„Ohne diese vielen Bücher wäre mein Leben wahrscheinlich sehr viel kälter und ärmer gewesen. Der Akt des Lesens war die beste Schule für mich, sozusagen eine maßgeschneiderte Schule, eigens für mich erbaut und betrieben, an der ich viele wichtige Erfahrungen machte. Es gab dort weder lästige Vorschriften noch Beurteilungen noch den gnadenlosen Kampf um die Rangordnung. Natürlich auch kein Mobbing. Auch wenn ich Teil des großen „Systems“ war, konnte ich mir dieses eigene andere „System“ sichern.“

Auf wenn das neueste Buch „Von Beruf Schriftsteller“ kein Roman ist, der „Sound“ ist trotzdem da. In 12 Kapiteln teilt der Autor seine Erfahrungen als beginnender Autor, seine Routinen, seine Erfahrungen mit Literaturpreisen, wie lange es dauerte, bis er mit dem Schreiben Geld verdiente und wie er überhaupt mit 29 Jahren aus einer Baseball-Laune heraus mit dem Schreiben begann.

„Man könnte diese potenziellen Konsumenten von Literatur vielleicht in Anlehnung an die Politik als „schwankende Wählerschaft“ bezeichnen. Für solche Menschen müsste man eine Art Zugang schaffen, wie ihn beim Wein der Beaujolais nouveau bietet, in der Musik das Wiener Neujahrskonzert und beim Sport der Hakone-Tokio-Rundmarathon.“

Er glaubt, dass jeder Schreiben kann, damit jedoch Geld zu verdienen gelingt nur relativ wenigen Menschen. Wichtig ist es eine Routine des täglichen, dauerhaften Schreibens zu entwickeln, sich nicht aus dem Konzept bringen zu lassen und seinen eigenen Weg und seinen Sound zu finden. Seinen fand Murakami im Übrigen in dem er seine Texte zuerst auf Englisch schreibt und diese dann ins Japanische zurück übersetzt. Seine Vorliebe für anglo-amerikanische Autoren, die er auch häufig erstmals ins Japanische übersetzte, haben ihm oft Kritik im eigenen Land eingebracht von denen, die Murakami nicht japanisch genug finden.

Er ist ein sehr beharrlicher Mensch, der nicht übermäßig schnell schreibt und seine Manuskripte wieder und wieder überarbeitet. Dabei ist seine Frau seine wichtigste, aber auch härteste Kritikerin. Das ist im Übrigen so ziemlich das einzige, dass man von der notorisch geheimnisvollen Frau erfährt. Im Gegensatz zu seiner Frau scheint Murakami fast schon ein medienaffines Popidol zu sein. Es gibt kaum Bilder, auch Interviews mit ihr habe ich nicht gefunden. Dabei würde mich ihre Sicht auf den Schriftsteller schon auch mal interessieren, aber natürlich respektiere ich den Wunsch nach Ruhe und Ungestörtheit und natürlich sollten die Bücher im Mittelpunkt des Interesses stehen, nicht die Person des Schriftstellers oder seiner Frau.

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Foto: GooglePlus

Neben dem intensiven Umschreiben nach der ersten Kritik seiner Frau ist ein weiterer wichtiger Aspekt seiner Arbeit, diese für einen längeren Zeitraum einfach ruhen zu lassen. So wie guter Wein oder auch Käse einen Reifeprozess durchmachen, reifen auch seine Manuskripte durch ein in Ruhe lassen. Mir gefällt das, in einer Zeit, in der alles auf Tastendruck sofort da zu sein hat, ein immer seltener werdendes Phänomen.

Mir gefiel auch die E.T. Methode sehr. Das Nutzen, von dem was man hat, was schon da ist, dem man kreativ eine andere Bedeutung gibt. So dass sämtliche Begegnungen, die man als Schriftsteller hat, jedes Erlebnis in die mentale Rumpelkammer geworfen und bei Bedarf herausgezaubert werden kann:

„Ich glaube, da hilft wieder nur die E.T.-Methode. Die Abstellkammer öffnen, das, was drin ist, zusammenraffen und dann – ping! – die Magie einschalten. Eine weitere Methode, um mit dem anderen Stern Verbindung aufzunehmen, haben wir nicht.“

Murakami ermuntert den Leser dazu, authentisch zu sein, Eigenarten an sich und anderen zu akzeptieren und auch die Gesellschaften sollten Menschen, die nicht ganz ins Raster passen, mehr zu schätzen und zu integrieren. Nach meinem Besuch in Japan ist mir noch einmal klarer geworden, was für ein außergewöhnlicher Mensch Murakami in Japan ist. Er ist ganz und gar Individuum, kümmert sich stets um seine eigenen Bedürfnisse und nimmt viel Zeit für sich alleine in Anspruch, eine Tatsache, die einen in Japan sehr schnell zum Außenseiter werden lässt.

„Ein Schriftsteller sollte, noch bevor er Künstler ist, ein freier Mensch sein. Und für mich besteht die Definition eines freien Menschen darin, dass er tut, was er will, und zwar, wann er will und wie er will.“

„Nach der Veröffentlichung kann man der Kritik ruhig aus dem Weg gehen. Man richtet sich zugrunde, wenn man sich jede einzelne zu Herzen nimmt.“

Ich musste mich bei der Lektüre wirklich zurück halten, nicht durch das Buch hindurch zu rasen. Es liest sich leicht, ist interessant und macht Lust, es selbst mit dem Schreiben zu versuchen oder alternativ mit dem Laufen, die weitere große Leidenschaft Murakamis neben dem Schreiben, Lesen und Musik hören. Es gab sehr viele Stellen, bei denen ich beim Lesen ständig hätte ausrufen können „genau“, ich habe gefühlt die Hälfte des Buches markiert und möchte ein paar der schönsten Sätze mit Euch teilen. Da sind aber noch jede Menge mehr lesenswerte Passagen drin, die Lektüre dieser Sätze allein ersetzt auf gar keinen Fall das Buch zu lesen.

Ich bin mir sehr sicher, wird „Von Beruf Schriftsteller“ erst einmal ins Englische übersetzt, wird es zur Standardlektüre der Creative Writing Kurse an den Universitäten gehören. Es ist definitiv ein Buch, das ich nicht nur einmal lesen werde. Ich lese es so lange, bis ich selbst ein Buch geschrieben oder einen Marathon gelaufen bin 😉

„Besonders achte ich darauf, nichts zu erklären. Stattdessen warf ich verschiedene bruchstückhafte Episoden, Bilder, Szenen und Begriffe in den Roman wie in ein Gefäß und verknüpfte sie zu einer plastischen Darstellung. Und diese Verknüpfung muss in einem Raum geschehen, der nichts mit gewöhnlicher Logik oder literarischer Sprache zu tun hat. Das ist das grundlegende Schema.“

„Oder aber mach deine Arbeit so gut, wie es deine Fähigkeiten, deine Begabungen erlauben, und dann rechtfertige dich nicht und entschuldige dich nicht. Beklage dich nicht, erkläre nichts.“

Ich danke dem Dumont-Verlag für das Rezensionsexemplar.

The Interestings – Meg Wolitzer

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Dieser Roman hat im Bookclub für ordentlich heiße Diskussionen gesorgt. Da gab es die gelangweilten, von den überhaupt nicht interessanten „Interestings“ genervten und auf der anderen Seite die recht euphorischen Befürworter des Romans. Dazwischen war eigentlich nicht viel.

Ich gehöre zu den eher euphorischen Anhängern und entsprechend ist meine Besprechung hier gefärbt. Zeitweise hatte ich das Gefühl eine „Justice for Jules“ Kampagne ins Leben rufen zu müssen, sie hat ordentlich einstecken müssen 😉

Im Sommer 1974 treffen sich 6 Teenager in einem recht exklusiven Kunst-Sommercamp in New England. Jules gelangt in den inneren Zirkel der coolen, urbanen New Yorker und aus der provinziellen Julie wird Jules, die der Enge ihrer Herkunft durch ihre Freunde zu entfliehen hofft. Die sechs schließen über den Sommer Freundschaft, die teilweise ein lebenlang halten wird. Kreativität und Kunst sind ihr Lebenselixier und alle versuchen, ihre Talente auch beruflich zu nutzen, aber einzig Ethan gelingt der wirklich große Durchbruch.

Die Gruppe nennt sich „The Interestings“ und insbesondere Jules und Ethan investieren unglaublich viel Energie und Herzblut in diese Freundesgruppe. Es ist wahrscheinlich nicht schwer, Jules nicht zu mögen. Sie schämt sich ihrer Wurzeln, hängt sich an ihre coolen Freunde, versucht sich ihnen anzupassen und ist gelegentlich neidisch auf ihre Freunde. Das Thema Neid fand ich sehr spannend in diesem Zusammenhang. Neid ist immer negativ besetzt, dabei gibt es ja durchaus zwei Ausprägungen, das bittere neiden, das einem anderen etwas nicht gönnt, nach dem Motto „ich will was du hast, denn ich gönne es dir nicht“ – das die Menschen ganz unglücklich macht und sie zerfrisst ist natürlich eine verdammt schlechte Eigenschaft. Aber es gibt – meine ich – auch eine Form von Neid, die ein notwendiger Motor von Veränderungen ist. Eine Neid von „ich will das auch was du hast und idealerweise nicht nur für mich, sondern auch für andere“. Ein positiver Motor, der nicht unglücklich macht, weil man etwas nicht hat, sondern der Möglichkeiten für positive Veränderungen sieht.

An der Stelle gab es eine Menge spannender Diskussionen in unserem Bookclub. Natürlich kann das total glücklich machen, einfach zu akzeptieren was man hat und sich daran erfreuen, ich sehe aber das Positive, das entsteht, wenn man den Status Quo nicht akzeptiert, sondern für sich und andere mehr erreichen will.

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Sehr spannend auch zu sehen, wie unterschiedlich Menschen mit Talent umgehen. Nur einer in der Gruppe hat ein überdurchschnittlich großes, ganz klar von klein auf ausgeprägtes Talent. Solche Menschen machen fast immer ihren Weg, auch wenn sie aus nicht privilegiertem Umfeld kommen. Die meisten Menschen haben aber denke ich, keine Supertalente, sondern entdecken und finden ihre Talente im Laufe ihres Lebens und da haben dann in der Regel die aus priviligiert stammendem Umfeld einen deutlich Vorteil. „Normales“ Talent reicht bei Privilegierten oft trotzdem zum Erfolg. Wie im Buch bei Ash, die es mit einem durchschnittlich ausgeprägten Maß an Talent schafft, erfolgreich als Regisseurin zu sein, dass durchschnittlich ausgeprägte Maß Talent reicht bei Jules, die keinen priviligierten Hintergrund hat nicht aus. Sie verlässt die Kunst irgendwann, um sich einen normalen Brot- und Butterjob zu suchen und ist in diesem dann auch ganz erfolgreich.

Der immer freundliche, nicht gutaussehende, aber super zuverlässige Ethan, der von klein auf ein begabter Comiczeichner ist, die feenartige hübsche Ash, um deren Achse die Gruppe zu spinnen scheint, ihr Bruder Goodman, der typische verwöhnte Lebemann ohne große Ambitionen und einem Hang zu Alkohol und Drogen, die Sexbombe Cathy, die Tänzerin werden möchte, und der zierliche gitarrespielende Hippie-Junge Jonah – ich konnte sie so deutlich vor mir sehen und fand es spannend, ihren Lebensläufen zu folgen.

Die Gruppe der „Interestings“ sind natürlich in Wirklichkeit gar nicht so interessant wie sie sich selber finden. Für sich selbst ja und sie betreiben auch einen ziemlichen Kult um sich selbst. Aber vielleicht hält sich jeder für wesentlich interessanter, als er eigentlich ist, vielleicht ist das auch gut so. Wenn wir uns selbst nicht interessant finden, wer denn dann ? 😉

Ein Buch, das polarisiert, das man langweilig findet, weil man nicht über eine Gruppe von Leuten lesen möchte, die sich selbst zu wichtig nehmen oder aber das man nicht aus der Hand legen kann, weil die Dialoge so gut sind und weil Meg Wolitzer nicht nur gut schreiben, sondern auch verdammt gut beobachten kann. Ich konnte es nicht aus der Hand legen, ich mochte die Mischung aus Ehrgeiz, Sehnsucht, Eifersucht, Erfolg und Neid, die die Freunde prägt. Das Buch handelt vom Glück, seinem Talent zu begegnen, von der Schwierigkeit, es in einen Job und Erfolg zu verwandeln und auch den Preis, den man manchmal bereit ist dafür zu zahlen. Talente werden gepflegt, zerstört und wiederentdeckt.

Probiert es aus und entscheidet selbst, ich freue mich schon auf weitere Lektüre von Meg Wolitzer. Einig waren wir uns auf jeden Fall, dass wir mehr Talente brauchen, aus allen „Walks of Life“ und diese zu entdecken, zu fördern und zu „heben“ ist eine unserer wichtigsten Aufgaben als Gesellschaft.

Das Buch erschien auf deutsch unter dem Titel „Die Interessanten“ im Dumont Verlag.

Hier – Richard McGuire

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Richard McGuire hat in dieser Graphic Novel etwas visualisiert, was sich höchstwahrscheinlich jeder von uns, der mal in einem alten Haus gelebt hat, vorgestellt hat. Wie sah dieses Zimmer vor 20 Jahren aus, oder vor 50, 100, 200 Jahren oder auch Tausenden von Jahren bevor das Haus stand? Wer hat hier drin gelebt, wie sah es hier aus und wie wird es hier in Zukunft aussehen?

Richard McGuire ist Autor und Illustrator von Kinderbüchern und experimentellen Comics. Daneben arbeitet er regelmässig für den New Yorker.

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Foto: Wired.com

Diesen Fragen geht er in seiner Graphic Novel „Hier“ nach. Das Buch startet mit einem nahezu leeren Zimmer im Jahr 2014. Ein Sofa, ein Fenster, ein Kamin. Mit jeder Seite die wir umblättern, sehen wir das Zimmer aus dieser Perspektive unter Angabe des jeweiligen Jahres in der Seitenecke. Nicht chronologisch, sondern wir springen mal nur ein paar Jahre zurück, mal Jahrtausende zurück  und auch in die Zukunft. Mal sind Menschen im Zimmer, manchmal ist das Haus noch nicht einmal gebaut worden und wir sehen wie es dort vorher aussah. Wälder, Tiere, ein Fluß.

So banal die eigentliche Idee auch ist, die Umsetzung hat mich ziemlich sprachlos gemacht. Was für aussergewöhnliche Zeichnungen, Einblicke eines Ortes von 2014 über 1775, bis 500,000 Jahre zurück und dann zack in die Zukunft ein Blick ins Jahr 2051, 2313 und dann 22175. Wow!

Seine Phantasie, seine Ideen, insbesondere mit Blick auf die Zukunft, haben mich ungeheuer fasziniert. Eine Graphic Novel die fast komplett ohne jeden Text auskommt und doch soviel aussagt. Ein nachdenkliches, einfach nur wunderschönes Buch, das einen ganz bestimmten „Vibe“ hat, der schwer zu beschreiben ist. Das Buch hat eine Tiefe, die sich einem nicht durch einmaliges Durchblättern erschließt. Es muss wieder und wieder „gelesen“ oder eher angeschaut werden, bevor sich einem jedes Mal etwas Neues Stückchen für Stückchen erschließt. Eine Graphic Novel, die ich wärmstens empfehlen kann. Ein wunderschönes Geschenk.

Hier noch ein interessantes Interview mit dem Autor aus der Paris Review:

http://www.theparisreview.org/blog/2015/06/12/split-screens-an-interview-with-richard-mcguire/

Herzlichen Dank an den Dumont Verlag für das Rezensionsexemplar.

Die unheimliche Bibliothek – Haruki Murakami

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Wenn man zum Geburtstag zweimal das gleiche Buch geschenkt bekommt, ist das üblicherweise verbunden mit hektischem Suchen nach Kassenbons oder, falls die nicht auftauchen, dem durchgehen der Freundesliste, wem das zweite Exemplare wohl noch gefallen könnte. In diesem Fall hat der doppelte Murakami nur riesige Freude ausgelöst, war doch eines die englische, das andere die deutsche Ausgabe und es hat riesigen Spaß gemacht, diese beiden dünnen, so unterschiedlich illustrierten Bücher parallel zu lesen.

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Er möchte doch nur zwei Bücher zurückbringen und eventuell wieder welche mitnehmen. Nichts deutet daraufhin, dass der namenlose Junge in einem kafkaesken Alptraum landen wird, als der seltsame Bibliothekar ihn nicht in den Lesesaal führt, sondern in ein Labyrinth, das sich unter der Bücherei erstreckt und wo er ihn heimtückisch einkerkert. Er trifft dort auf den mysteriösen Schafsmann, auf ein wunderschönes stummes Mädchen und auch, wenn man ihn mit den schönsten Leckereien füttert, so bleibt er doch ein Gefangener, dem der Tod droht. Der Junge muß drei dicke Bücher lesen, die der Bibliothekar ihm aushändigt. Er will wissen, warum er diese Bücher lesen und auswendig lernen soll und der freundlich-einfältige Schafsmann erklärt es ihm auch freimütig: „Ehrlich gesagt wird man dir den Kopf absägen. Und dann das Gehirn aussaugen.“

Der daraufhin folgende Dialog muß einer der abgefahrensten überhaupt in der Literatur sein.

„Aber Schafmann, warum will mir dieser alte Mann denn das Gehirn aussaugen?“

„Weil mit Wissen vollgestopfte Gehirne angeblich sehr delikat und reichhaltig sind. Und sämig oder so.“

Yep, weißte Bescheid. Murakami halt. Die Geschichte fühlt sich an wie ein Traum, gleichgültig, ob die Geschehnisse Sinn machen oder nicht. Der Junge ist nicht glücklich darüber, dass der alte Mann sein Hirn essen will, aber er fügt sich diesem Schicksal und liest einfach über das Steuersystem im Osmanischen Reich. Zeichen und Symbole gibt es in der Geschichte zuhauf, am deutlichsten vielleicht die Deutung der Biblothek, die gleich einem Gehirn der Ort des Wissens ist, von dem wir glauben, wir können das Wissen jederzeit einfach abrufen und wissen doch nie ganz genau, was wir eigentlich hervorholen.

Was ist wirklich real und was nicht? Die Grenze ist schmal und wird von Murakami wieder und wieder in fast jedem seiner Romane neu ausgelotet und getestet. Selbst das, was sich nach Realität anfühlt, gleicht oft einem Traum. Die Sprache ist wie immer klar, knapp und doch poetisch. Die unheimliche Bibiliothek ist ein düsteres Märchen, das Erwachsene in den Schlaf verfolgt und sie beim nächsten Büchereibesuch besorgt älteren Bibliothekaren aus dem Weg gehen lässt.

Die deutsche und englische Ausgabe sind bis auf das Format komplett unterschiedlich ausgefallen. Die englische Ausgabe wurde von Suzanne Dean gestaltet, die zum Beispiel auch für das wunderschöne Cover von Julian Barnes „The Sense of an Ending“ verantwortlich war.

Das Design von „The Strange Library“ durchdringt die Geschichte mit seinen surrealen, zarten Illustrationen, die teilweise an alte Folianten, dann wieder an Monty Python erinnern. Das magentafarbene Cover mit dem darauf angebrachten Library Ticket Holder ist einfach umwerfend schön. Allein die Haptik …

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Foto: Guardian

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Foto: Guardian

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Die deutsche Ausgabe erinnert deutlich mehr an einen Comic. Die Illustrationen stammen von Kat Menschik, die auch schon „Die Bäckereiüberfälle“ und „Schlaf“ illustriert hat. Ihre Bilder haben einen wundervollen, dunkel verstörenden Zauber, dem man sich nicht entziehen kann. Die Bilder sind überwiegend schwarz-weiß und sie zeigen das Unheimliche und Beklemmende in Murakamis Geschichte auf ganz besondere Art.

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Nein, ich könnte wirklich nicht sagen welche Ausgabe mir besser gefällt. Das Cover der englischen? Einige der Illustrationen der deutschen Ausgabe? Ich weiß es nicht und bin so froh, dass ich mich nie entscheiden mußte, weil mir meine weisen Freunde einfach beide geschenkt haben.

Happiness is having friends that know what’s good for you 😉

Wenn ihr dieses Buch noch nicht habt, sucht euch Freunde, die es euch schenken oder kauft es euch selbst, es ist ein absolutes Muss für jeden Murakami-Fan, aber auch für alle Freunde skurill-obskurer düsterer Geschichten, die liebevoll gestaltet sind, ein echtes Schnäppchen.

Könnte es eigentlich sein, dass ausgerechnet die E-Book-Welle den Ausschlag gegeben hat, das Bücher auf einmal wieder so viel liebevoller gestaltet werden? Lange war die Büchergilde da recht allein auf weiter Flur, als ich kürzlich auf der Buchmesse in Frankfurt war, habe ich eine ganze Reihe wunderschön illustrierter und gestalteter Bücher gesehen. Ein schöner Trend, gefällt mir.

Die Kunst des Feldspiels – Chad Harbach

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Keiner hatte einen einfachen Sommer in diesem Jahr. Die Charaktere in diesem Buch haben mich total in die Geschichte hineingezogen. Ein paar Tage lang lebte ich auf dem Campus des fiktiven Westish Colleges in Wisconsin. Jeder einzelne der Protagonisten hätte locker ein eigenes Buch füllen können. Der College-Direktor, ein Herman-Melville-Enthusiast, der sein ganzes Leben lang ein heterosexueller Frauenheld war und sich unerwartet in den jungen Owen verliebt, der Angst hat sich zum Trottel zu machen aus Liebe und doch nicht lassen kann von Owen. Seine Tochter Pella, die die High School abgebrochen hat, um einen wesentlich älteren Mann zu heiraten und die nach Westish zurückkommt und versucht ihr Leben da wieder aufzunehmen, wo sie es verlassen hat.

„Ich erinnere mich an gar nichts. Habe ich gelesen?“ Affenlight nickte. „Ich habe Dich gewarnt. Es ist ein gefährlicher Zeitvertreib.“

„Von all den Dingen, die zwei Menschen im Verborgenen miteinander tun konnten, hatte Affenlight eine besondere Vorliebe für das gegenseitige Vorlesen.“

Der ambitionierte Mike Schwartz, der sich den Hintern aufreisst um Erfolg zu haben und seine Herkunft hinter sich zu lassen. Der den kleinen schmächtigen Henry Skrimshander spielen sieht und auf Anhieb erkennt, was für ein wahnsinniges Talent da vor ihm steht, ihn unter seine Fittiche nimmt und zum ganz großen Talent ausbaut. Mike muß im Laufe des Romans aber auch erkennen, dass seine Ambitionen gegebenenfalls größer sind, als sein Talent.

Und schließlich Henry selbst, das Ausnahmetalent unter den Shortstoppern, der durch Mike ein Stipendium am Westish College bekommt und von Mike rigoros trainiert wird. Der schmächtige Mike blüht auf unter der harten, liebevollen Führung von Mike und er bringt das bis dahin eher mittelmässige Westish Baseball Team zu ersten Erfolgen und professionelle Scouts beginnen sich für Henry zu interessieren. Henry ist kurz davor, den phänomenalen Baseballrekord seines großen Idols zu brechen, das ganz große Geld klopft an seine Tür und dann passiert ihm dieser disaströse, schicksalshafte Fehler.

Ein Fehler, der nicht nur seinen Freund Owen schwer verletzt, vielmehr zerstört er Henry’s Selbstbewußtsein komplett und er ist nicht mehr in der Lage, auch nur die einfachsten Würfe zu parieren. Verzweifelt versucht er sein Mojo wiederzubekommen. Henry ist nicht nur einfach eine Sportmaschine, er arbeitet sich den Arsch auf und nicht weil er reich und berühmt werden will, er will einfach der Beste sein in dem was er am liebsten tut. Er ist vollkommen verzweifelt, als er feststellen muss, dass es außerhalb seines Einflussbereiches zu liegen scheint, sein Talent wiederzuerlangen. Er kämpft, er versucht sich durchzubeissen, sich nichts anmerken zu lassen, es zerreisst einem das Herz und man will ihn einfach nur in den Arm nehmen und ihm sagen „Hör einfach auf zu denken und hau den Ball weg“

Ich hatte schon soviel positives über den Roman gehört, konnte mir aber einfach nicht vorstellen, dass ein Buch über Baseball etwas für mich sein könnte und dann bin ich in der Büchergilde über diese wunderbare Ausgabe gestolpert und habe sowohl meine Aversion gegen Sportromane, als auch für Übersetzungen über Bord geworfen und bin so belohnt worden.

Nicht nur die Charaktere bleiben einem lange nach Beendigung des Romans erhalten, auch ihre Namen. Selten habe ich ein Buch gelesen mit schrägeren Namen. Pella und ihr Vater Guert AFFENLIGHT, Henry Skrimshander, Adam Starblind – da kommt einem Mike Schwartz schon fast seltsam dagegen vor.

“Henry war zu klug, um sich diese Freiheit zu wünschen. Das einzig lebenswerte Leben war das unfreie Leben, das Leben, das Schwartzy ihn gelehrt hatte, das Leben, in dem er an seinen einen und einzigen wahren Wunsch gekettet war, den Wunsch, einfach und perfekt zu sein.”

“Sein einziger Wunsch war immer gewesen, dass sich niemals irgendwas änderte. Oder dass sich die Dinge nur zum Guten änderten, dass alles Tag für Tag immer ein bisschen besser wurde, bis in alle Ewigkeit.

Gefallen hat mir auch, dass man Henry’s plötzlichem Talentschwund nicht auf die Schliche kommt. Plötzlich ist sein Mojo weg und keiner weiß warum. Von einer Minute zur anderen wird er unsicher und es gibt zum Glück kein typisch amerikanisches Erweckungserlebnis, das alles erklärt und ihm die Sicherheit wieder zurück gibt, er muß einfach ganz von vorne anfangen und sich seine Sicherheit wieder neu erkämpfen.

Henrys schicksalhafter Fehlwurf setzt eine Reihe von Ereignissen in Gange und am Ende des Sommers ist nichts mehr so wie es war. So sehr die Selbstoptimierer-Mantra „Du kannst alles schaffen wenn Du nur willst“ auch durch das College bläst, doch Sieg und Niederlage liegen bekanntlich verdammt nah beeinander und gerade der Sport zeigt uns, das Wille allein nicht reicht und genau darin liegt eigentlich auch der Reiz.

“Du hast mir einmal gesagt, dass man nicht mit einer Seele geboren wird, sondern dass sie erst gebildet werden muss, durch Versuche und Irrtümer, Lernen und Liebe. Und du hast dich dieser Aufgabe hingebungsvoller gewidmet als die meisten anderen Menschen, der Aufgabe, eine Seele zu bilden – nicht zu deinem eigenen Nutzen, sondern zum Nutzen derer, die dich kannten. Das ist einer der Gründe dafür, dass dein Tod so schwer für uns ist. Es ist schwer zu akzeptieren, dass eine Seele wie deine, die zu bilden ein Leben lang gedauert hat, aufhören kann zu existieren. Es macht uns zornig, rasend vor Wut auf das Universum, dich nicht bei uns zu haben.”

Harbach’s Roman wirkt auf wundervolle Art ein wenig altmodisch. Es ist ein großer Roman um Freundschaft, Toleranz, Hoffnungen. Um’s Zeifeln und Scheitern. Es geht um Liebe und Homosexualität, das Erwachsenwerden und das sich immer wieder neu erschaffen.

„Das Mitgefühl, das Affenlight für ihn empfand, überstieg alles, was er je für eine Romanfigur empfunden hatte. Es war sogar möglich, dass er überhaupt noch nie ein solches Mitgefühl für irgendjemanden empfunden hatte. Niemand war frei von Zweifeln und Schwächen, der arme Henry aber musste sich den seinen öffentlich und zu festen Zeiten stellen, während die eine Hälfte der Menge ängstlich auf ihn zählte und die andere ihm lauthals Pech wünschte. Wie bei einem Theaterschauspieler war sein innerer Kampf für alle offenbar.“

„Sprechen war, wie einen Baseball zu werfen. Es ließ sich nicht vorausplanen. Man mußte einfach loslassen und sehen, was passierte. Man musste mit Worten werfen, ohne zu wissen, ob irgendjemand sie auffangen würde – man musste mit Worten werfen, von denen man wusste, dass niemand sie auffangen würde. Man musste seine Worte dorthin schicken, wo sie einem nicht mehr gehörten. Es fühlte sich besser an, mit einem Ball in der Hand zu sprechen, es fühlte sich besser an, den Ball sprechen zu lassen. Aber die Welt, die Nicht-Baseball-Welt, die Welt der Liebe, der Sexualität, der Arbeit und der Freunde, war aus Worten gemacht.“

Lest dieses Buch – es wird Euch glücklich machen und vielleicht werdet ihr wie ich zum ersten Mal im Leben ernsthaft darüber nachdenken, Moby Dick zu lesen.

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Hier noch ein sehr interessantes, aber recht langes Interview mit Chad Harbach, das auf dem Sydney’s Writer Festival geführt wurde. Und hier noch eine Rezension zum Buch von Frau Buzzaldrins 🙂

Das Buch erschien im DuMont Verlag erschienen.

Von Männern, die keine Frauen haben – Haruki Murakami

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Was ist das nur mit mir und Haruki Murakami ? Ich habe einige Lieblingsautoren, von denen ich vieles lese, Neuerscheinungen sofort in Augenschein nehme, mit denen ich für gerne mal ein Bier trinken gehen würde – aber mit Murakami ist das alles ganz anders.

Seine Bücher brauche ich, die haben mich so ganz sachte, langsam, einfach komplett süchtig gemacht. Seine Protagonisten fühlen sich an wie meine dunkle Seite des Mondes.

„Von Männer, die keine Frauen haben“ beinhaltet 7 Kurzgeschichten. Bei dem Titel hatte ich anfangs eine andere Vorstellung von dem, was mich erwartet, denn Japan hat ja bekanntlich eine hohe Anzahl an jungen Single-Männern, die ewig im Kinderzimmer wohnen bleiben, häufig auch keinen Job haben und irgendwie aus dem Leben gefallen sind. Die Männer in Murakami’s Buch sind anders.

Sie sind schon eher der typische Murakami-Typ. Durchaus unterschiedliche Charaktere und unterschiedliche Lebensstile, aber alle doch irgendwie selbstgenügsam, leise, auf eine nicht zu unnahbare Art stoisch und freundlich. Was sie eint ist das aus der Bahn fliegen. Es erwischt sie alle irgendwann und fast immer ist es eine Frau, die ihr ruhiges Fahrwasser ins Strudeln bringt.

Die meisten Geschichten sind sehr in der realen Welt angesiedelt, ganz selten nur bekommt die Realität wie in „Kinos Bar“ haarfeine Risse. Es geht um das Verlieren, das Verlassenwerden und das nicht festhalten können. Vom Lieben und Betrügen.
In jedem der Protagonisten meint man, ein Stück vom Autor zu sehen.

In „Drive my Car“ geht um einen Schauspieler, der alkoholbedingt seinen Führerschein verloren hat, sich daher eine Fahrerin nimmt und ihr erzählt, dass er sich nach dem Tod seiner Frau mit deren Liebhaber angefreundet hat.
„Will man einen anderen Menschen wirklich verstehen, kann man nur möglichst ehrlich und tief in sich selbst hineinschauen. Das ist meine Ansicht.“

„Yesterday“ kannte ich schon. Die Geschichte war vor ein paar Monaten im New Yorker veröffentlicht worden. Sie handelt von einem Studenten, der sich an seinen seltsamen Freund Kitaru erinnert der besessen vom Kansai Dialekt war, obwohl er in Tokyo geboren war. Kitaru bittet den Studenten, sich mit seiner Freundin Erika zu treffen und kurz darauf verschwinden beide aus dem Leben des Studenten.
„Es war ein weiteres meiner Probleme, dass ich immer über Gründe nachgrübelte, auch wenn alles längst entschieden war.“
„Wie Bäume harte Winter überstehen müssen, um groß und kräftig zu werden. Wenn das Klima immer mild und heiter ist, entwickeln sie keine Jahresringe.“

In „Das eigenständige Organ“ treffen wir den erfolgreichen Schönheitschirurgen Dr. Tokai. Sein Leben ist geregelt wie ein Uhrwerk, dank seines zuverlässigen Sekretärs. Stets hat er 4-5 Freundinnen nebeneinander, ist zu jeder gleich liebenswürdig und charmant, er hat sein Leben im Griff bis er sich urplötzlich verliebt und das geht nicht gut aus für ihn.
„Keine Operation vermochte es, intellektuelle Fähigkeiten zu verbessern“
„Die Kinder waren, solange sie klein waren, recht niedlich, aber kaum kamen sie auf die Mittel- oder Oberschule, hassten sie ausnahmslos alle Erwachsenen, bereiteten aus Rache und Verachtung die peinlichsten Probleme und strapazierten erbarmungslos die Nerven und Verdauungsorgane ihrer Eltern.“

„Scheherazade“ ist die Frau die sich vollumfassend um einen Mann kümmert, der sich in einem Haus versteckt halten muss. Sie kauft für ihn ein, kümmert sich in jeder Hinsicht um sein leibliches Wohlund nach jedem vollzogenen Akt erzählt sie ihm eine Geschichte. Er hat keine Möglichkeit, sie zu kontaktieren, sollte sie eines Tages einfach nicht mehr auftauchen.
„Es ist ja eigentlich nicht so, dass ich tatsächlich allein auf einer einsamen Insel wäre. Ich bin selbst eine einsame Insel. Er hatte sich längst daran gewöhnt, allein zu sein. Er drehte nicht leicht durch, obwohl er allein war. Was Habara in Unruhe versetzte, war, dass er, wenn es zu so etwas käme, sich nicht mehr im Bett mit Scheherazade würde unterhalten können.“
„Dabei wußte er, dass die Wirklichkeit bisweilen wirklichkeitsfern ist.“

In meiner Lieblingsgeschichte „Kinos Bar“ wirft es den Sportartikel-Vertreter Kino aus der Bahn, als er seine Frau beim Fremdgehen erwischt. Er schmeisst seinen Job, lässt sich scheiden und eröffnet eine kleine Bar. Diese Geschichte ist 150% Murakami. Die Jazz-Musik, die traurige Frau, die in seine Bar kommt, mit ihm Sex hat, aber in einer gewalttätigen Beziehung mit einem anderen ist. Die Katze, die ihm Gesellschaft leistet und ein seltsamer Gast, der ein Auge hat auf Kino und seine Bar. Und dann kommen die Schlangen und Kino muss eine Weile fort.
Die Atmosphäre ist großartig. Ich habe die Geschichte jetzt schon ein paar mal gelesen und immer wieder bekomme ich am Ende Heimweh nach Kinos Bar und möchte zurück.
„In seiner Bar, in die keine Gäste kamen, hörte Kino seit Langem einmal wieder so viel Musik, wie er wollte, und las die Bücher, die er immer hatte lesen wollen. Wie ein ausgedörrter Boden den Regen nahm Kino das Alleinsein, die Stille und die Einsamkeit ganz natürlich in sich auf.“

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Und mit diesem einen Satz beschreibt er exakt was ich fühle, wenn ich Murakami lese. Ich habe durch das Lesen die Möglichkeit zumindest eine Zeit lang so zu sein, kann mir Alleinsein, Stille und Einsamkeit über die Lektüre zuführen. Murakami sollte es in einer Welt, in der man immer erreichbar ist, immer on – auf Rezept geben. Er lässt uns auf Zeit aussteigen aus dem Krach, der Hektik, dem Trubel und eintauchen in die einsame Stille der Murakami’schen Welt.

Die beiden letzten Geschichten „Samsa in Love“ und die titelgebende „Von Männern, die keine Frauen haben“ waren für den Moment nicht so meines. Sie sind bizarrer als die anderen und ich werde sie auf jeden Fall noch einmal lesen.
„Samsa in Love“ ist großartig geschrieben, aber mein ausgedörrter Boden brauchte momentan eher die ersten 5 Geschichten – die letzten beiden werden aber sicher zu einer anderen Zeit das richtige für mich sein.

Ein grandioser Kurzgeschichten-Band, auch für Leute, die Kurzgeschichten vielleicht sonst nicht so gern lesen.

„Im Grunde bedeutet eine Frau zu verlieren genau dies. Frauen schenken uns besondere Momente, in denen sie für uns mitten in der Wirklichkeit die Wirklichkeit außer Kraft setzen.“