April by the Book

Willkommen zu meinem Lesemonat April! Der war wirklich spannend, vor allem wegen meiner Reise nach Neapel und Pompeji. Aber auch im Kopf ging’s rund: Nele Pollatschek hat mich nach Oxbridge entführt, ich hab Zeit in Timor Kaleyas Sanatorium verbracht und eine Menge Einblicke in das Kastensystem der USA gelernt. Ich ließ mich von der poetischen Sprache Marie-Luise Kaschnitz‘ verzaubern habe über die die Sternstunden der Menschheit nachgedacht. Hier wieder ein kurzer Abriss meines Lesemonats in alphabetischer Reihenfolge:

Pompeii – Mary Beard auf deutsch unter dem gleichen Titel im Fischer Verlag erschienen, übersetzt von Ursula Blank-Sangmeister

Mary Beards Buch „Pompeii: The Life of a roman town“ ist ein faszinierender und humorvoller Streifzug durch die Stadt und die Geschichte. Sie liebt es gängige Annahmen über Pompeij zu widerlegen und kann dabei im Text ordentlich austeilen anderen Kolleg*innen gegenüber.

Beard betont immer wieder die Grenzen unseres Wissens und die Unbeständigkeit unserer Konstrukte. Sie widerlegt die Vorstellung, dass Pompeji eine „eingefrorene Stadt in der Zeit“ sei, wie es oft behauptet wird. Vielmehr zeigt sie auf, dass Pompeji von verschiedenen historischen Ereignissen geprägt wurde, angefangen von einem verheerenden Erdbeben bis hin zu Plünderungen und Bombardierungen im Zweiten Weltkrieg.

Das Buch bietet einen überraschenden Blick hinter die Kulissen von Pompeji und beleuchtet das tägliche Leben der Menschen, ihre Häuser, ihre Bäder und sogar ihre Bordelle. Beard führt uns durch die Straßen, in die Häuser und öffentlichen Gebäude und lässt uns die Stadt mit all ihren Gerüchen und Geräuschen erleben.

In fact, a marriage was normally contracted, as the Romans put it, ‘by practice’: that is, in our terms, ‘by cohabitation’. If you lived together for a year, you were married.

Besonders bemerkenswert ist Beards Fähigkeit, komplexe Themen auf eine zugängliche und unterhaltsame Weise zu präsentieren. Man kann förmlich spüren, wie sie durch die Ruinen von Pompeji spaziert und uns dabei mit ihrem Wissen und ihrer Begeisterung mitreißt.

Lästige Liebe – Elena Ferrante erschienen im Suhrkamp Verlag, übersetzt von Karin Krieger

„Elena Ferrante“ ist das Pseudonym einer italienischen Schriftstellerin, deren wahre Identität bis heute ein gut gehütetes Geheimnis ist. Ihre Romane setzen sich häufig mit Themen wie weiblicher Freundschaft, Familienbeziehungen und dem Leben im südlichen Italien auseinander.

Ihr Debütroman „Lästige Liebe“ (Originaltitel: „L’amore molesto“), veröffentlicht im Jahr 1992, ist eine eindringliche, ziemlich beklemmende Geschichte über eine Frau namens Delia, die nach dem mysteriösen Tod ihrer Mutter Amalia deren Tagebuch entdeckt. Während Delia versucht, die Wahrheit über den Tod ihrer Mutter aufzudecken, taucht sie immer tiefer in deren geheimnisvolle Vergangenheit ein.

Betritt man die Wohnung eines vor kurzem verstorbenen Menschen, fällt es schwer, sie für unbewohnt zu halten.

„Lästige Liebe“ ist ein Roman, der mich mit seiner düsteren Atmosphäre und den komplexen Charakteren stellenweise durchaus in seinen Bann ziehen konnte, bin aber nicht wirklich warm geworden mit den Figuren und ich war bei der Lektüre eigentlich abwechseln verwirrt oder ein bißchen verstört. Durchaus ein gelungener Debütroman, Frau Ferrante kann wirklich schreiben – aber ich kann nicht sagen, dass ich unbändige Lust bekommen habe noch weitere Romane von ihr zu lesen.

Pompeij – Robert Harris im Heyne Verlag erschienen, übersetzt von Christel Wiemken

Robert Harris‘ Pompeij ist ein faszinierender historischer Roman, der des verheerenden Ausbruchs des Vesuvs und der Zerstörung der Stadt erzählt. Mit einer Mischung aus akribischer historischer Recherche und fesselnder Erzählung entführt Harris die Leser in die Welt des antiken Roms und verwebt geschickt Fakten mit Fiktion.

Die Geschichte folgt dem jungen Ingenieur Marcus Attilius Primus, der nach Pompeji kommt, um die Wasserleitungen der Stadt zu reparieren. Doch bald entdeckt er Anzeichen für ungewöhnliche Aktivitäten des Vesuvs und wird in ein Netz aus Intrigen, Machtspielen und persönlichen Dramen verstrickt. Während Attilius verzweifelt versucht, die Bewohner vor der bevorstehenden Katastrophe zu warnen, bahnt sich das Unheil unaufhaltsam an.

What is leadership, after all, but the blind choice of one route over another and the confident pretense that the decision was based on reason

Harris gelingt es richtig gut, die Atmosphäre und das Leben im antiken Pompeji zum Leben zu erwecken. Durch seine detaillierte Darstellung der Stadt, ihrer Bewohner und ihrer Bräuche entsteht ein lebendiges Bild dieser Tage und es hat was sehr beklemmendes wenn man schon von der ersten Seite an weiß, dass sehr bald unweigerlich eine Katastrophe passieren wird.

Man spürt die intensive Recherche, die in den Roman eingeflossen ist, und die Liebe zum Detail, mit der Harris die Welt von Pompeji zum Leben erweckt.

„Pompeji“ ist ein packender historischer Roman, der nicht nur unterhält, sondern auch zum Nachdenken anregt. Er wirft Fragen nach der Natur der Macht, dem Verhalten in Krisensituationen und der Fragilität menschlicher Existenz auf.

Heilung – Timon Karl Kaleyta erschienen im Piper Verlag

Ein Sanatoriumsroman kann wie eine Reise in eine unbekannte Welt sein, eine Welt, in der die Grenzen zwischen Realität und Fiktion verschwimmen und der Leser selbst zum Mitreisenden wird. Timon Karl Kaleytas Roman „Heilung“ ist eine solche Reise, die den Leser in die verschneiten Berge des San Vita entführt, einem Ort, der mehr Geheimnisse birgt, als man auf den ersten Blick vermuten würde.

Die Geschichte dreht sich um einen namenlosen Protagonisten, der plötzlich von Schlaflosigkeit geplagt wird und sich auf eine Reise der Selbstfindung begibt. Seine Frau schickt ihn in das exklusive San Vita, nicht um eine Krankheit zu heilen, sondern um ein diffuses Unbehagen zu vertreiben. Unter der Leitung von Professor Trinkl durchläuft er unkonventionelle Behandlungsmethoden, die eher an ein Abenteuer als an eine medizinische Therapie erinnern. Doch bald schon bricht er aus dem engen Korsett des Sanatoriums aus und findet sich auf dem Bauernhof seines Jugendfreundes Jesper wieder, wo er eine ganz andere Art der Heilung erfährt.

Was diesen Roman so faszinierend macht, ist die Atmosphäre der Ambiguität, die er schafft. Kaleytas Erzählstil lässt bewusst viele Fragen offen, und genau das macht den Reiz des Romans aus. Man wird als Leser dazu eingeladen, selbst zu interpretieren und zu reflektieren, anstatt alle Antworten serviert zu bekommen.

Besonders beeindruckend ist die Art und Weise, wie Kaleytas die Themen Männlichkeit und Selbstfindung behandelt. Anders als viele zeitgenössische Autoren, die sich in autofiktionalen Werken in endlosen Selbstreflexionen verlieren, schlägt Kaleytas einen erfrischend anderen Weg ein. Sein Protagonist ist kein klassischer Held, sondern ein Durchschnittsmensch, der sich in einer Welt voller Widersprüche und Ambivalenzen verliert. Es ist diese Alltäglichkeit, die den Roman so zugänglich und gleichzeitig so tiefgründig macht.

Auch die Settings, sei es das exklusive Sanatorium oder der idyllische Bauernhof, sind meisterhaft inszeniert und tragen zur Atmosphäre des Romans bei. Man fühlt sich geradezu, als würde man selbst durch die verschneiten Berge streifen oder den Morgentau auf den Feldern spüren.

Ins San Vita kommen Menschen, die wissen, dass sie gesund sind. Sie haben bereits die besten Ärzte der Welt aufgesucht. Und nun wollen sie von uns bestätigt bekommen, dass auch darüber hinaus alles in Ordnung ist. Sie wollen, wie soll ich sagen, von einem unguten Gefühl befreit werden, von einem Unbehagen, dass sie belastet.

Natürlich hat der Roman auch seine Schwächen. Einige Passagen wirken etwas überkonstruiert, und der manierierte Erzählstil mag nicht jedermanns Geschmack treffen. Doch gerade diese Unvollkommenheiten verleihen dem Roman eine gewisse Authentizität und machen ihn zu einem echten Erlebnis.

Insgesamt hat mir „Heilung“ von Timon Karl Kaleytas außerordentlich gut gefallen. Die unkonventionelle Erzählweise, die fesselnde Atmosphäre und die tiefgründigen Themen haben mich von der ersten bis zur letzten Seite in ihren Bann gezogen. Wer gerne auf literarische Entdeckungsreise geht und sich von einem Roman überraschen lassen möchte, dem kann ich „Heilung“ nur wärmstens empfehlen.

Orte / Gedichte – Marie-Luise Kaschnitz erschienen im Insel bzw Suhrkamp Verlag

Ich bin so so glücklich diese wundervolle Autorin für mich entdeckt zu haben. Ein absoluter Zufallsfund aus dem Bücherschrank, den ich nach einem Gedicht gesehen bei @buddenbohm aufschlug und nicht mehr weglegen konnte.

In Marie-Luise Kaschnitz‘ Werk „Orte“ begeben sich Leser auf eine faszinierende Reise durch die Landschaften der menschlichen Seele. Kaschnitz, eine der bedeutendsten deutschen Schriftstellerinnen des 20. Jahrhunderts, verwebt in diesem Werk auf meisterhafte Weise poetische Sprache mit tiefgründigen Einblicken in die menschliche Existenz.

Marie-Luise Kaschnitz wurde am 31. Januar 1901 in Karlsruhe, Deutschland, geboren. Sie entstammte einer wohlhabenden Familie und erhielt eine umfassende Bildung, die ihre Liebe zur Literatur und zum Schreiben förderte. Ihr Schaffen umfasst eine Vielzahl von Gedichten, Erzählungen, Essays und Romanen. Kaschnitz‘ Werke zeichnen sich durch eine klare, prägnante Sprache aus, die oft existenzielle Themen wie Vergänglichkeit, Einsamkeit und die Suche nach Identität behandelt.

Ihr literarisches Schaffen erstreckte sich über mehrere Jahrzehnte, in denen sie eine Vielzahl von Preisen und Auszeichnungen erhielt, darunter den Georg-Büchner-Preis im Jahr 1955. Marie-Luise Kaschnitz verstarb am 10. Oktober 1974 in Rom, hinterließ jedoch ein bedeutendes Erbe in der deutschen Literaturgeschichte.

Paris 1939, und wie töricht und glücklich wir dort sind. Wie wir die in den Buchhandlungen ausliegenden pazifistischen Bücher, die Späße der Goliarden auf den Straßen für ein Zeichen der Überlegenheit nehmen, wie wir selbst, aus der Kaserne Deutschland für kurze Zeit entlassen, gelöst umhergehen, fast tanzend in unserem lateinischen Viertel, im Jardin du Luxembourg und die Seine entlang.

„Orte“ ist eine Sammlung von Texten, die die Vielschichtigkeit menschlicher Erfahrungen und Emotionen erkunden. Kaschnitz führt die Leser durch metaphorische Landschaften, in denen sie die Untiefen des menschlichen Geistes erkunden. Jeder Ort, den sie beschreibt, ist nicht nur ein geografischer Ort, sondern auch ein Zustand des Bewusstseins.

Die Erzählungen in „Orte“ sind oft fragmentarisch und lassen Raum für Interpretation. Kaschnitz spielt mit Symbolen und Bildern, um tiefe emotionale Resonanzen zu erzeugen. Sie beschreibt verlassene Orte, einsame Landschaften und verträumte Szenerien, die eine Reflexion des inneren Zustands der Protagonist*innen sind.
Kaschnitz‘ Sprache ist von einer tiefen Melancholie und einer unbestreitbaren Schönheit geprägt. Jedes Wort ist sorgfältig gewählt, jede Beschreibung ist kunstvoll ausgearbeitet.

Die Gedichte von Marie-Luise Kaschnitz sind oft von einer tiefen, introspektiven und existenziellen Stimmung geprägt. Ihre Poesie zeichnet sich durch eine präzise und zugleich poetische Sprache aus, die komplexe emotionale Zustände und philosophische Themen erforscht. Kaschnitz‘ Werke reflektieren häufig Themen wie Vergänglichkeit, Einsamkeit, Verlust und die Suche nach Sinn.

Dear Oxbridge – Nele Pollatschek erschienen im Galiani Verlag

Nele Pollatscheks „Dear Oxbridge“ bietet einen faszinierenden Einblick in die Welt der britischen Elite-Universitäten Oxford und Cambridge. Als langjährige Studentin dieser renommierten Institutionen beleuchtet Pollatschek nicht nur das akademische Leben, sondern wirft auch einen Blick hinter die Kulissen der britischen politischen Elite, die maßgeblich den Brexit beeinflusst hat.

Das Buch beginnt mit einer tragikomischen Pointe, als Pollatschek am Morgen des Brexit-Votums ihre Studienschulden begleichen kann, jedoch nicht aus Freude über den Ausgang der Abstimmung, sondern aus wirtschaftlicher Notwendigkeit. Von diesem Ausgangspunkt aus reflektiert sie über die Entstehung des Brexit und die Rolle der politischen Klasse, die von den Eliteuniversitäten geformt wird.

Pollatschek beschreibt Oxbridge als Symbol für Reichtum, Elite und Macht. Sie zeigt auf, wie diese Institutionen ein Milieu schaffen, das von seinen eigenen Privilegien überzeugt ist und diese über Generationen hinweg weitergibt. Dabei deckt sie auch die dunklen Seiten dieser Welt auf, wie die elitären Clubs und die Kultur der Abgeschlossenheit und menschenverachtenden Praktiken.

Trotz dieser kritischen Betrachtung ist Pollatschek jedoch nicht verbittert. Sie zeigt eine tiefe Zuneigung zu Großbritannien und seinen Universitäten, insbesondere zu der Leidenschaft für Wissen und Lehre, die dort herrscht. „Dear Oxbridge“ kann daher auch als eine Art universitärer Coming-of-Age-Text betrachtet werden, der neben dem Brexit vor allem Pollatscheks eigene intellektuelle Reifung thematisiert.

Der Politikertyp, der aus Oxbridge kommt, der vorher natürlich schon in Eton war, also Menschen wie David Cameron und Boris Johnson, das ist jemand, der immer schon alle Privilegien hatte, der immer schon etwas Besseres war, und der gleichzeitig gar nicht weiß, dass er sich das nicht erarbeitet hat, sondern dass das einfach ein Privileg ist, dass das einfach von Geburt an da ist. Und weil die vermehrt denken: Boah, das habe ich mir alles erarbeitet, das verdiene ich, kommt daraus eine Gnadenlosigkeit, also der Gedanke, dass diejenigen, die das nicht haben, was man selber hat, es auch nicht verdienen.

Das Buch besteht aus einer Reihe locker verbundener Essays, die humorvoll und pointiert geschrieben sind. Es offenbart Risse und Widersprüche in der britischen Gesellschaft und bietet gleichzeitig ein warmes Plädoyer dafür, immer wieder zuzuhören und die Menschlichkeit in den Diskussionen zu bewahren.

Ein großartiges Buch das ich sehr gerne gelesen habe und das nicht nur Einblicke in die Welt der Eliteuniversitäten bietet, sondern auch wichtige Fragen zur gesellschaftlichen und politischen Entwicklung Großbritanniens aufwirft. Wer verstehen möchte, was hinter den Türen von Oxbridge passiert und warum Großbritannien weiterhin von Bedeutung ist, sollte dieses Buch lesen.

Caste – The Origins of our Discontents – Isabel Wilkerson auf deutsch unter dem Titel „Kaste – Die Ursprünge unseres Unbehagens“ im Kjona Verlag erschienen, übersetzt von Jan Wilm

Isabel Wilkinsons „Kaste – Die Ursprünge unseres Unbehagens“ war mein Hörbuch im April, es wird von der New York Times als das bisher wichtigste Sachbuch des 21. Jahrhunderts gelobt. In ihrer Analyse betrachtet Wilkerson das System der Kaste als eine universelle Grammatik der Unterdrückung, die düstere Kontinuitäten wie Polizeigewalt, Wahlunterdrückung und Bildungsungleichheiten aufdeckt. Sie sieht wenig Platz für hoffnungsvolle Zukunftsszenarien, insbesondere in einer Welt nach Trump, in der die Frage „Weißsein oder Demokratie?“ im Mittelpunkt steht.

Radical empathy, on the other hand, means putting in the work to educate oneself and to listen with a humble heart to understand another’s experience from their perspective, not as we imagine we would feel. Radical empathy is not about you and what you think you would do in a situation you have never been in and perhaps never will. It is the kindred connection from a place of deep knowing that opens your spirit to the pain of another as they perceive it.

Empathy is no substitute for the experience itself. We don’t get to tell a person with a broken leg or a bullet wound that they are not in pain. And people who have hit the caste lottery are not in a position to tell a person who has suffered under the tyranny of caste what is offensive or hurtful or demeaning to those at the bottom. The price of privilege is the moral duty to act when one sees another person treated unfairly. And the least that a person in the dominant caste can do is not make the pain any worse.

Obwohl Wilkerson das Konzept der Kaste auf das gesamte gesellschaftliche Gefüge der USA anwendet, zeigt sich, dass dieses Konzept manchmal zu starr ist und den realen Fortschritten der Bürgerrechtsbewegung sowie einem langsamen, aber stetigen gesellschaftlichen Wandel entgegensteht.

Trotzdem präsentiert Wilkerson am Ende ihres Buches ein hoffnungsvolles Konzept der radikalen Empathie. Durch ein konsequentes Denken an der Stelle des Anderen hält sie eine Welt ohne Kaste grundsätzlich für möglich. Dieser Ansatz lässt Raum für Hoffnung und zeigt einen Weg auf, wie eine gerechtere und empathischere Gesellschaft erreicht werden könnte.

Vom Zauber des Untergangs – Gabriel Zuchtriegel erschienen im Propyläen Verlag

Gabriel Zuchtriegels Buch „Vom Zauber des Untergangs war die perfekte vorbereitende Reiselektüre auf meinen Besuch in Pompeij letzte Woche. Das Buch bietet nicht nur einen faszinierenden Einblick in die archäologischen Schätze Pompejis, sondern spannt auch einen Bogen von der Antike bis in die Gegenwart.

Gabriel Zuchtriegel, ein 42-jähriger Archäologe leitet seit 2021 den Archäologiepark Pompeji in Italien. Sein Buch reflektiert nicht nur die Geschichte der antiken Stadt, sondern wirft auch einen neuen Blick auf ihre Bedeutung für unsere heutige Zeit. Als ich durch die gut erhaltenen Überreste von Garküchen, Sklavenzimmern und Tempeln wanderte, wurde mir klar, dass diese vergangenen Zivilisationen mehr mit unserer Gegenwart zu tun haben, als wir oft glauben.

Zuchtriegel beschreibt in seinem Buch nicht nur die archäologischen Ausgrabungen und Restaurierungen, sondern auch die neuen Forschungsergebnisse, die ständig ans Licht kommen. Dabei schlägt er immer wieder eine Brücke zwischen der antiken Welt und unserer modernen Gesellschaft. Er stellt Fragen nach dem Wandel der Gesellschaft und der Bedeutung von Kultur und Erbe für unsere Identität.

Während man die beeindruckenden Überreste der antiken Villen und Theater bewundert, kommt man nicht umhin, darüber nachzudenken, wie sich das Leben in Pompeji vor dem verheerenden Ausbruch des Vesuvs abspielte. Doch Zuchtriegel erinnert uns daran, dass Pompeji nicht nur eine historische Stätte ist, sondern auch eine Quelle der Inspiration und Reflexion für unsere heutige Zeit.

Zuchtriegels Buch ist nicht nur eine Sammlung von Fakten und Daten über Pompeji, sondern auch eine persönliche Reise durch die Geschichte und Kultur einer vergangenen Zivilisation. Seine Leidenschaft für die Archäologie und sein Engagement für den Schutz und die Bewahrung des kulturellen Erbes sind in jedem Wort spürbar und ansteckend.

Gibt es auch heute Sachverhalte, von denen zukünftige Generationen sagen werden, dass uns dafür die Begriffe fehlten? Und welche könnten das sein?

Pompeji ist nicht nur eine historische Stätte, sondern auch ein Symbol für die Vergänglichkeit des Lebens und die Notwendigkeit, unser kulturelles Erbe zu schützen und zu bewahren.

Gabriel Zuchtriegel lädt uns ein, Pompeji mit neuen Augen zu sehen und die versteckten Geschichten und Geheimnisse dieser faszinierenden antiken Stadt zu entdecken. Eine Lektüre, die nicht nur für Archäologen und Geschichtsinteressierte, sondern für alle, die sich für die menschliche Geschichte und Kultur interessieren, von Interesse ist.

Sternstunden der Menschheit – Stefan Zweig erschienen im S. Fischer Verlag

Stefan Zweigs „Sternstunden der Menschheit“ ist ein zeitloses Meisterwerk, das die Leser auf eine faszinierende Reise durch die Geschichte menschlicher Errungenschaften führt. Mit seiner unvergleichlichen Erzählkunst fängt Zweig vierzehn historische Momente ein, die als Sternstunden der Menschheit gelten können.

Von bedeutenden Persönlichkeiten wie Napoleon und Dostojewski bis hin zu wagemutigen Entdeckern und begabten Künstlern erzählt Zweig von den wegweisenden Ereignissen, die die Geschichte maßgeblich geprägt haben. Jeder dieser Augenblicke wird von Zweig mit einer novellistischen Intensität und einem tiefen Verständnis für die menschliche Natur dargestellt.

Immer sind Millionen Menschen innerhalb eines Volkes nötig, damit ein Genius entsteht, immer müssen Millionen müßige Weltstunden verrinnen, ehe eine wahrhaft historische, eine Sternstunde der Menschheit in Erscheinung tritt.

Durch Zweigs meisterhafte Erzählungen werden die Leser in die Atmosphäre und die Bedeutung dieser historischen Momente hineingezogen. Man spürt die Spannung von Napoleons Niederlage in Waterloo, erlebt die Aufregung der Entdeckung Kaliforniens und fühlt die Erleichterung von Dostojewskis Begnadigung.

„Sternstunden der Menschheit“ ist mehr als nur eine Sammlung von Geschichten – es ist eine Hommage an die Menschheit und ihre Fähigkeit, in entscheidenden Momenten über sich hinauszuwachsen. Stefan Zweigs Werk bleibt auch nach 125 Jahren ein unverzichtbarer Bestandteil der Weltliteratur und fasziniert weiterhin Leser auf der ganzen Welt.

Das war insgesamt ein richtig guter Lesemonat. Fast durchweg Bücher, denen ich 4-5 Sterne gegeben habe, bis auf Elena Ferrante auch alles Autor*innen die ich definitiv wieder lesen würde.

Was waren Eure Highlights im April und konnte ich euch auf das eine oder andere Buch hier Lust machen? Freu mich von Euch zu hören.

Meine Woche

Gesehen: Prima Facie von Suzie Miller (übersetzt von Anne Rabe) im Residenztheater mit Lea Ruckpaul. Großartiges Stück – wir kamen aus dem diskutieren gar nicht mehr raus. Unbedingt ansehen.

Stefan Zweig – Ein Europäer von Welt (2013) von Jean-Pierre Devillers und François Busnel. Interessante Doku über einen meiner absoluten Lieblings-Autoren. Empfehlenswert.

Gehört: Dead flowers for her – Skywatchers, Doug & Florence – Kettcar, Dancing Star – Pet Shop Boys, Time – Eels, Underneath – Warpaint

Gelesen: Toni Morrisons Rejection Letters, Does Science Fiction shape the future?, AFD im Europaparlament – radikaler als die Radikalen, Top 5 regrets of people dying

Getan: ins Theater gegangen, in Aschau gewandert, mit lieben Freundinnen lecker gegessen und den Balkon für den Frühling fit gemacht

Gefreut: über die wunderschöne Wanderung

Geweint: nein

Gelacht: über mich

Geärgert: nö

Gegessen: ein Schnitzel nach der Wanderung

Getrunken: alkoholfreies Augustiner

Geklickt: A traveling exhibit will focus on the work of three Japanese American women artists, Hisako Hibi, Miki Hayakawa and Miné Okubo.

Gestaunt: über die kleine Blindschleiche die wir beim Wandern gesehen haben, aber noch viel mehr über die riesige Schlange die eine Freundin heute am Hinterbrühler See fotografiert hat (Ringelnatter?)

Gewünscht: diesen Pyjama, dieses schwimmende Haus, einen Besuch bei den Händel-Festspielen

Geplant: Pompeij

Gefunden: nix

Gekauft: Wanderschuhe

Gedacht: Mir persönlich macht es mehr Freude, Menschen zu verstehen, als sie zu richten. //Stefan Zweig

Lektüre Februar 2022

Ein bisschen später als geplant, aber die weltpolitische Lage hat auch mich im doomscrolling (verdammnisblättern? bzw obsessive Konsumieren von schlechten Nachrichten) erstarren lassen und dem Lesen und Schreiben keinen Raum gelassen. Aber ein bisschen Struktur hilft in vielen Lagen, daher hier meine Lektüre aus dem Februar. Es war ein sehr guter und schöner Lesemonat, da wird im März deutlich weniger hinzukommen.

Hier geht’s lang – Mit Büchern von Frauen durchs Leben von Elke Heidenreich, Eisele Verlag

Es waren Bücher von Frauen, die Elke Heidenreich geprägt haben, von frühester Jugend an. Später machte sie das Reden und Schreiben über Bücher zu ihrem Beruf.

Als ich Anfang des Jahres hier verriet, dass ich ein Projekt plane, dann meinte ich dieses damit. Mich auch meiner Lebensbücher zu erinnern und darüber zu schreiben. Ich danke meiner lieben Freundin Barbara in Berlin sehr, mir das Buch nicht nur ans Herz gelegt sondern auch geliehen zu haben. Habe es sehr gerne gelesen und sobald mein Hirn wieder etwas ruhiger ist, beginne ich mal meine eigene Lesebiographie zu erforschen und aufzuschreiben.

… denn Literatur hat immer auch eine unterwandernde Wirkung, sie trägt uns davon aus unserer Umgebung, und mit dem Weg zurück kann es heikel werden

… und die Sonne schien in meinem Kopf und rettete mich vor Armut, Enge, Kleinkariertheit und den üblichen Nöten und Komplexen einer Heranwachsenden.

Maria Stuart – Stefan Zweig erschienen im Fischer Verlag

Sie war Königin von Schottland und Frankreich und hatte Anspruch auf den Thron von England – doch Elizabeth I. ließ Maria Stuart (1542–1587) jahrelang inhaftieren und schließlich hinrichten, um ihre Macht zu wahren. Das Leben der Maria Stuart war geprägt von Intrigen, Verschwörungen und politischen Ränkespielen, denen sie am Ende zum Opfer fiel. Stefan Zweig zeichnet ein Porträt einer Frau, deren Leben bis heute Anlass zu Spekulationen, Verklärung und Mystifizierung gibt.

Stefan Zweig ist einer meiner liebsten Autoren und auch diese Roman-Biografie habe ich sehr gerne gelesen. Gelegentlich merkt man natürlich schon aus welcher Zeit Zweig stammt und wie das seinen Blick auf Frauen geprägt hat, aber eine wirklich lohnende Lektüre, durch die ich immens viel über die schottisch-englische Geschichte und zwei ausgesprochen faszinierende Persönlichkeiten gelernt habe.

Doch eine Natur wie die ihrige kann, wenn auch noch so tief enttäuscht, nicht ohne Vertrauen leben; immer wieder sucht sie nach einem sicheren Menschen, auf den sie sich unbedingt verlassen kann. Lieber wird sie jemanden wählen, der niederem Range entstammt, der nicht die Ansehnlichkeit eines Moray und Maitland besitzt, aber dafür die Tugend, die ihr notwendiger ist an diesem schottischen Hofe, die kostbarste aller Dienergaben: unbedingte Treue und Verläßlichkeit.

The City & The City von China Miéville auf deutsch erschienen unter dem Titel „Die Stadt & Die Stadt“ bei Bastei Lübbe. Übersetzt von Eva Bauche-Eppers

Zwei Städte – geeint und doch entzweit. Die Bewohner werden erzogen, einander nicht zu sehen. Das unerlaubte Betreten der jeweils andere Stadt zieht schwerste Strafen nach sich.

Ganz warm werden Mr. Miéville und ich irgendwie nicht. Ist mein dritter Versuch, die Prämissen sind immer spannend, seine Romane stecken voller spannender Ideen, aber ich komme nie richtig in die Bücher rein, sie haben auch nicht die richtige Atmosphäre für mich. Definitiv ein gutes Buch, ein spannender Autor, nur eben nicht für mich.

“Is it more childish and foolish to insist that there is a conspiracy or that there is not?” 

Der Verdacht (The Push)- Ashley Audrain erschienen bei Penguin Random House. Übersetzt von Ulrike Wasel, Klaus Timmermann

Violet ist ein Wunschkind, und Blythe möchte die liebevolle Mutter sein, die ihr selbst so sehr fehlte. Doch als man ihr das Neugeborene in den Arm legt, fühlt sich alles falsch an. Da ist nur Ablehnung, und je älter das Mädchen wird, desto mehr wächst die Angst vor Violet und ihrem feindseligen Verhalten, das sich Blythe nicht erklären kann. Alles nur Einbildung? Oder ist das Mädchen tatsächlich absichtsvoll böse? Fox, der seine Tochter von ganzem Herzen liebt, beobachtet seine Frau mit wachsendem Misstrauen. 

Ein Buch das nur schwer auszuhalten ist, emotional alles andere als leichte Kost ist und das mir noch immer nach geht.

Ich erinnerte mich daran, warum wir Violet eigentlich bekommen haben: Du wolltest eine Familie, und ich wollte dich glücklich machen. Aber ich wollte außerdem all meine Zweifel widerlegen. Ich wollte auch meine Mutter widerlegen.

Wenn Männer mir die Welt erklären (Men explain things to me) von Rebecca Solnit erschienen im btb Verlag. Übersetzt von Kathrin Razum und Bettina Münch

Ein Mann, der mit seinem Wissen prahlt, in der Annahme, dass seine Gesprächspartnerin ohnehin keine Ahnung hat – jede Frau hat diese Situation schon einmal erlebt. Rebecca Solnit untersucht die Mechanismen von Sexismus. Sie deckt Missstände auf, die meist gar nicht als solche erkannt werden, weil Übergriffe auf Frauen akzeptiert sind, als normal gelten.

Rebecca Solnit ist eine Autorin die ich sehr schätze. Sie ist klug, warmherzig und hat ein wahninniges Gespür für die Themen unserer Zeit. Dieses Buch hat das Zeug dazu ein Klassiker zu werden. Sie schafft es auf ein paar Seiten, die Geschlechterdebatte auf den Punkt zu bringen.

Every woman knows what I’m talking about. It’s the presumption that makes it hard, at times, for any woman in any field; that keeps women from speaking up and from being heard when they dare; that crushes young women into silence by indicating, the way harassment on the street does, that this is not their world. It trains us in self-doubt and self-limitation just as it exercises men’s unsupported overconfidence.

Vier Tage währt die Nacht von Dorothea S. Baltenstein erschienen im Eichborn Verlag

Dorothea S. Baltenstein ist das Pseudonym von vier Schülerinnen und ihrem Lehrer die im Rahmen eines Unterrichtsprojektes, dem sogenannten Projekt Pegasus, zwischen September 1995 und Mai 1998 das Manuskript für den gleichnamigen Roman entwickelten.

Schottland, im Jahre des Herrn 1817. Jonathan Lloyd erhält von seinem alten Freund Sir Mortimer Pope eine Einladung nach Boroughmore Castle. Ein literarischer Wettstreit ist geplant; man will sich treffen wie einst die Shelleys sich mit Lord Byron in der Schweiz trafen, wo Mary Shelley die Inspiration zu Frankenstein hatte. Aber bereits in der ersten Nacht stürzt die Zugbrücke des Schlosses ein, was ein Todesopfer fordert.

Ein Roman den ich direkt nach Erscheinen gekauft und gelesen habe, denn meine Liebe zu allem Gothic / Dark Academia etc begleitet mich schon ein Leben lang. Ich habe es damals sehr gerne gelesen, war etwas besorgt, wie es wohl gealtert sein mag, aber auch es macht auch in dunklen Wintertagen im Jahr 2022 noch genauso viel Spaß sich in diese dunkel-romantische Schauergeschichte zu versenken.

Während ich am späten Nachmittag des 27. November des Jahres 1817 in einer Kutsche saß, die holpernd über steinige Straßen fuhr, und hoffte, noch vor einbrechender Nacht mein Ziel zu erreichen, breitete sich in mir bereits ein Gefühl der Unsicherheit aus – vielleicht war auch ein wenig Furcht dabei.

Krabat von Otfried Preußler erschienen bei der Büchergilde Gutenberg

Neugier lockt Krabat zur Mühle am Koselbruch, vor der alle warnen. Dort soll es nicht mit rechten Dingen zugehen. Ein leichtes und schönes Leben wird Krabat hier versprochen. Doch der Preis dafür ist hoch. Und aus der Verstrickung mit dem Bösen kann ihn nur die bedingungslose Liebe eines Mädchens retten.

Auch so ein Herzensbuch, das ich gerne alle paar Jahre lese und jedes Mal entdecke ich etwas Neues darin.

Es gibt eine Art von Zauberei, die man mühsam erlernen muß: Das ist die, wie sie im Koraktor steht, Zeichen für Zeichen und Formel um Formel. Und dann gibt es eine, die wächst einem aus der Tiefe des Herzens zu: aus der Sorge um jemanden, den man lieb hat. Ich weiß, daß das schwer zu begreifen ist – aber du solltest darauf vertrauen, Krabat.

Bibliomanie von Gustave Flaubert erschienen im Insel Verlag. Übersetzt von Erwin Rieger.

Der Buchhändler und Antiquar Giacomo lebt zurückgezogen in einer stillen Gasse in Barcelona. Seine Liebe gilt allein den Büchern. Er berauscht sich am Geruch ihres Papiers, dem Einband, der Vergoldung der Lettern und der Druckerschwärze. Sein Traum: der Aufbau einer eigenen Bibliothek. Bei dem Erwerb bibliophiler Schätze steht ihm allerdings sein Rivale Baptisto im Weg, der Buchhändler vom Königsplatz. Allmählich steigert sich Giacomos Leidenschaft zum verbrecherischen Wahn …

Einen einzigen Gedanken hatte er, eine einzige Liebe, eine einzige Leidenschaft: die Bücher! Und diese Liebe, diese Leidenschaft verbrannten sein Inneres, verdarben sein Leben, verschlangen sein Dasein.

The Offing von Benjamin Meyers erschienen auf deutsch unter dem Titel Offene See im Dumont Verlag. Übersetzt von Ulrike Wasel, Klaus Timmermann

Der junge Robert weiß schon früh, dass er wie alle Männer seiner Familie Bergarbeiter sein wird. Dabei ist ihm Enge ein Graus. Er liebt Natur und Bewegung, sehnt sich nach der Weite des Meeres. Daher beschließt er kurz nach dem Zweiten Weltkrieg, sich zum Ort seiner Sehnsucht, der offenen See, aufzumachen. Fast am Ziel angekommen, lernt er eine ältere Frau kennen, die ihn auf eine Tasse Tee in ihr leicht heruntergekommenes Cottage einlädt. Eine Frau wie Dulcie hat er noch nie getroffen: unverheiratet, allein lebend, unkonventionell, mit sehr klaren und für ihn unerhörten Ansichten zu Ehe, Familie und Religion. Aus dem Nachmittag wird ein längerer Aufenthalt, und Robert lernt eine ihm vollkommen unbekannte Welt kennen. 

Das wurde ganz überraschend für mich ein richtiges Herzensbuch. Jede:r von uns braucht eine Dulcie im Leben. Ein Buch das ich ganz besonders in diesen dunklen Zeiten empfehlen kann. Es macht die Welt ein kleines bisschen besser.

There is poetry in silence but most of us don’t stop to hear it. They must talk, talk, talk, but say nothing because they are afraid of hearing their own heartbeat.

Let poetry and music and wine and romance guide the way. Let liberty prevail.

Welche Bücher davon kennt ihr oder habt ihr vielleicht Lust bekommen auf das Eine oder das Andere? Ich freue mich über Rückmeldung – lasst mal hören…

Stefan Zweig

Lassen wir uns nicht beirren durch alle Unvernunft und Unhumanität der Zeit,
bleiben wir dem zeitlosen Gedanken der Humanität treu – es ist nicht so schwer!
Überall können einige Menschen, die guten Willens sind, das Wunder vollbringen,
sich zu verstehen // Stefan Zweig, 1936

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Der wunderbare Topalian & Milani Verlag hat mit den beiden Novellen „Der Amokläufer“ und „Episode am Genfer See“ nach Buchmendel und die unsichtbare Sammlung wieder ein absolutes Schmuckstück auf den Markt geworfen.

In Meyers Konversations-Lexikon aus dem Jahr 1888 heißt es dazu:

Amucklaufen (Amoklaufen, vom javan. Wort amoak, töten), eine barbarische Sitte unter mehreren malaiischen Volksstämmen, zum Beispiel auf Java, besteht darin, dass durch Genuss von Opium bis zur Raserei berauschte, mit einem Kris (Dolch) bewaffnet, sich auf die Straßen stürzen und jeden, dem sie begegnen, verwunden oder töten, bis sie selbst getötet oder doch überwältigt werden.“

Noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts glaubte man, dass Amokläufer nur im Vollrausch ihre Tat begingen.

Die Geschichte in „Der Amokläufer“ dreht sich um die plötzliche heftige Leidenschaft eines deutschen Arztes, der in einer holländischen Kolonie in Asien arbeitet für eine schöne englische Frau, die ihn um einen sehr speziellen Gefallen bittet.

Die irre Besessenheit und die verzweifelte Suche nach einer Lösung für das Problem der jungen Frau (nachdem er sie zunächst versuchte sie sexuell zu erpressen), ergeben eine sehr dramatische Dynamik der Geschichte, die der Arzt einem Passagier während einer transatlantischen Seereise erzählt. Er arbeitete als Arzt in Indonesien, fühlt sich dort aber gefangen „wie die Spinne im Netz“. Das Auftreten einer Frau und ihre kühle Überlegenheit reißen ihn aus seiner Lethargie. Er dreht völlig durch und verfolgt die Frau wie ein Amokläufer…

Foto: Topalian-Milani Verlag

„Nur Leidenschaft, die ihren Abgrund findet, läßt deine letzte Wesenheit entbrennen, nur der sich ganz verliert, ist sich gegeben.“

„Der Amokläufer“ wurde 1944 in Mexiko verfilmt. Ich habe einen Ausschnitt aus dem Film gefunden, allerdings ohne Synchronisation:

Was „Der Amokläufer“ und die Geschichte „Episode am Genfer See“ miteinander verbindet, ist das Motiv des Selbstmordes. Ein sensibles Thema, zumal wenn man an Zweigs eigenen Freitod im Jahr 1944 denkt.

Vielleicht hat mich auch deshalb die zweite Geschichte noch mehr berührt, mit ihrem autobiografischen Einschlag. Sie handelt von einem russischen Soldaten, der verzweifelt versucht, nach Hause zu kommen. Urplötzlich treibt er in einem Boot auf dem Genfer See und wird dort von einem Fischer an Land gebracht. Der Mann landet in einer kleinen Dorfgemeinschaft – die ihn schnell loswerden will. Es kommt zu einem dramatischen Verlust von Mitmenschlichkeit und Leben.

Er spricht nur eine allen unverständliche Sprache und es dauert eine Weile, bis ein früher im Ausland lebender Gasthof-Besitzer diese als russisch identifiziert und es ihm gelingt, ihm zumindest rudimentär mitzuteilen, dass der Krieg noch immer andauere und es erst einmal keine Möglichkeit für ihn gibt, nach Hause zurückzukehren.

„Ein Protokoll wurde über den Vorfall aufgenommen und, da man den Namen des Fremden nicht kannte, ein billiges Holzkreuz auf sein Grab gestellt, eines jener kleinen Kreuze über namenlosem Schicksal, mit denen jetzt Europa bedeckt ist von einem bis zum anderen Ende.“

Zweigs Schreibstil ist wahnsinnig elegant, anschaulich und leicht und es verwundert nicht, dass er sehr genau wusste wie man über Verlust, Liebe und Ausweglosigkeit schreibt.

Die wunderschönen Bilder der Novellen stammen von dem Oldenburger Grafiker Michael Hahn.

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Auch die Büchergilde lässt sich nicht lumpen, wenn es um illustrierte Zweig Novellen geht und legt mit „Der Zwang“ ein überaus schönes Exemplar vor. Gelegentlich sind die Büchergilde und ich nicht so kompatibel, was Illustrationen angeht, aber das hier war endlich mal wieder ein Volltreffer.

Ohnehin gehört Zweigs „Der Zwang“ aus dem Jahr 1920 zu einer seiner besten Kurzgeschichten. Es geht darin um Ferdinand, einen Künstler, der in die Schweiz geflohen ist, um dem Kriegsdienst zu entkommen. Als er aber auch dort gefunden wird und ihm seine Einberufungsdokumente zugestellt werden, spürt er einen unüberwindbaren Zwang zu gehorchen, sehr zum Entsetzen und Abscheu seiner Frau.

„Ich weiß es nicht. Vielleicht weil der Wahnsinn jetzt in der Welt stärker ist als die Vernunft. Vielleicht weil ich kein Held bin, eben deshalb wage ich nicht zu fliehen … Man kann das nicht erklären. Es ist irgendein Zwang: ich kann nicht die Kette zerbrechen, die zwanzig Millionen Menschen erwürgt. Ich kann nicht.“

Das amtliche Schreiben übt einen Zwang auf ihn aus, der seine Ehe, seine Freiheit, sein Leben bedroht. Ein Kampf gegen die eigene Feigheit und die Macht militärischer Autorität beginnt. Die Erstausgabe von Zweigs Der Zwang erschien 1920 und der Künstler Frans Masereel, engagierter Kriegsgegner, fertigte für den pazifistischen Text Holzschnitte an. Die Künstler verband eine Freundschaft, die sich neben gegenseitiger Bewunderung der künstlerischen Fähigkeiten auch auf persönlicher Ebene entwickelte.

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Foto: Büchergilde

Die Spannungen, die sich durch Ferdinands Pflichtgefühl auf der einen Seite und seine pazifistischen Überzeugungen ergeben, sowie die Liebe zu seiner Frau sind auf jeder Seite dieser kurzen Novelle spürbar. Die Holzschnitte scharfkantig und bedrohlich.

Die Geschichte ist voller Spannung, Melancholie und hat – mit Ferdinand – den wohl  romantischsten und emotionalsten Protagonisten, den Zweig je geschaffen hat.

„Frei schwang sich ihr Herz in die ewige Freiheit der Dinge, erlöst von der Wirrnis der Worte und der Menschen Gesetz.“

Wer von Stefan Zweig gar nicht genug bekommen kann, dem empfehle ich diesen Beitrag über seine Meistererzählungen

Zwei Bücher, die ich euch unbedingt ans Herz legen möchte. Man kann einfach nie genug Stefan Zweig lesen und mit diesen beiden Bänden habt ihr zusätzlich noch ein paar wirkliche Schmuckstücke im Regal stehen.

Meine Woche

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Gesehen: „Vor der Morgenröte“ (2016) von Maria Schrader mit Josef Hader. Sehr gelungenes Biopic über Stefan Zweig. Sehenswert.

Gehört: „Ocean“ – Goldfrapp ft Dave Gahan, „A Shine below the mound“ – Sonson, „Martyrs“ – Get well soon, „Love“ – Avec, „The return of Alhazred“ – Father Sky Mother Earth, „Iresdepia“ – Appalaches, „Sometime, Somewhere“ – aswekeepsearching, „Mladek“ – Russian Circles,

Gelesen: 21 Thesen zum Irrweg der DSVGO, the birth and death of privacy, in Britain Austerity is changing everything, dieses Interview mit Salman Rushdie, was im deutschen Literaturbetrieb schief läuft, Jaron Lanier what went wrong with the internet

Getan: mit meinen wunderbaren Freunden Geburtstag gefeiert, mit 4 tollen Frauen München unsicher gemacht, in der Sonne gelegen und gelesen

Geplant: die Digital Bauhaus besuchen und mit meinem Papa in seine Geburtsstadt fahren

Gegessen: ein leckeres afghanisches Dinner und viel Gegrilltes

Getrunken: zuviel

Gelacht: über Muriel Spark 🙂

Geärgert: nope

Gefreut: über die vielen Glückwunsche von lieben Menschen und meine wunderbaren Geburtstagsgeschenke

Geklickt: auf diese Bilder von verschwindenden Jobs

Gewünscht: dieses Haus, diese Bücherregale, diesen Luftkühler

Gefunden: dieses Buch

Gekauft: diesen Outdoor-Teppich

Gestaunt: a meaningful journey

Gedacht: Wonder Woman is not a fictional character. Wonder Woman is a mindset.

Her mit den schönen Büchern

Schönheit liegt ja immer im Auge des Betrachters, aber bei diesen kleinen Schmuckstücken kann man nicht anders als schwach zu werden und zuzugreifen. Ich hatte schon immer eine Schwäche für schöne Bücher, damit hat mich die Büchergilde schon vor gefühlten 100 Jahren zur Mitgliedschaft überzeugen können.

Ich habe hier schon des Öfteren Bücher vorgestellt, die nicht nur inhaltlich schön waren, sondern die auch optisch etwas Besonderes waren, deswegen wurde es höchste Zeit für eine eigene Rubrik auf dem Blog, die ich hiermit feierlich eröffne und in meinem gewohnten Anglizismus-Wahn „Bookporn“ nenne.

Als ich kürzlich (zum ersten Mal im Übrigen) in der Buchhandlung Perthel am Gasteig in München war, wollte ich eigentlich nur ein Geburtstagsgeschenk für eine Freundin kaufen (zu stepanini winkt) und konnte mich dann absolut nicht mehr von gleich mehreren Schmuckstücken trennen und schwer bepackt verließ ich einen neuen „Liebling“. Die Ausbeute möchte ich euch hier kurz vorstellen.

Anfangen möchte ich aber mit dem Buch, das ich vorab schon zum Geburtstag bekam, Franz Kafkas „Ein Landarzt“ mit Illustrationen von Kat Menschik, zu der ich glaube ich nicht mehr viel sagen muss. Der Band erhält ein paar sehr schön ausgewählte kleine Erzählungen von Kafka, wobei nur die erste, „Der neue Advokat“, neu für mich war, vielleicht habe ich sie deshalb zu meinem Favoriten in dieser Ausgabe erklärt.

Galliani ist ein Verlag, der immer wieder wunderschöne Bücher herausbringt und bei diesem Bändchen und der Zusammenarbeit mit der wunderbaren Kat Menschik handelt es sich um ein ganz besonderes Schmuckstück, das in keiner Sammlung fehlen sollte.

Hier eine Übersicht der Erzählungen:

  • Der neue Advokat
  • Ein Landarzt
  • Auf der Galerie
  • Ein altes Blatt
  • Vor dem Gesetz
  • Schakale und Araber
  • Ein Besuch im Bergwerk
  • Das nächste Dorf
  • Eine kaiserliche Botschaft
  • Die Sorge des Hausvaters
  • Elf Söhne
  • Ein Brudermord
  • Ein Traum
  • Ein Bericht für eine Akademie

Bei der übrigen Beute aus dem Buchladen handelte es sich um drei Bände aus der Insel-Bücherei.

Mario Vargas Llosa: „Sonntag“

Vargas Llosa erzählt in dieser kleinen Novelle von den typischen „Rites of Passage“, die junge Peruaner der Oberklasse durchlaufen, bevor sie zum Mann werden. Miguel, der Protagonist der Geschichte, erlebt seinen Männlichkeitstest, wenn er mit einem Rivalen um das Herz seiner Angebeteten Flora um die Wette schwimmt. Es ist eine zarte melancholische Geschichte voll beklommener Langeweile um jugendliche Unsicherheit, Verzweiflung und Mutproben, die Llosa erzählt und die wiederum von Kat Menschik wunderbar illustriert wurde.

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In Stanislaw Lems „Professor A. Donda“ geht um einen Wissenschaftler der vermutet, es gäbe eine Äquivalzenz zwischen Information und Materie ähnlich der von Energie und Materie. Information ist ein Ordnungszustand von Materie und um diese zu ordnen braucht man Energie.

Das ganze wird in einer atemlos durchgeknallten Geschichte erzählt, perfekt für Freunde satirischer Sci-Fi. Der Illustrator Benjamin Courtault hat mich sehr beeindruckt, den behalte ich mal auf dem Radar, seine Arbeiten gefallen mir sehr:

Max Frischs „Questionnaire“ kann zwar nicht mit Illustrationen aufwarten, aber mit schlichtem Design und vor allen Dingen einfach die unglaublich guten Fragen. Ich liebe Fragen. Ich war immer schon deutlich mehr an Fragen als an Antworten interessiert und diese 10 Fragebogen kreisen jeweils um ein konkretes Thema: Ehe, Frauen, Humor, Geld, Freundschaft, Vatersein, Heimat, Eigentum und die Erhaltung des Menschengeschlechts.

Meine Lieblingsfrage war: „Are you disconcerted by an intelligent Lesbian“ ?!?

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Natürlich geht Inhalt vor Optik, aber es gibt keinen Grund, warum gute Bücher nicht auch schön sein sollten und diese vier sind ein paar wunderbare Beispiele dafür.

Ein paar weitere besonders schöne Bücher findet ihr hier auf meinem Blog:

 

Welche Eurer Bücher findet ihr am schönsten oder welches hättet ihr noch gerne?

 

Stefan Zweig – Die Welt von Gestern

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„Als meinen einzig sicheren Besitz empfinde ich das Gefühl der inneren Freiheit“

In den Zwanziger und Dreißiger Jahren des vorigen Jahrhunderts war Stefan Zweig einer der berühmtesten Autoren der Welt. Nachdem die Nazis ihn aus seiner Heimat Österreich vertrieben hatten, beginnt er im Exil seine Erinnerungen in dem Band „Die Welt von Gestern – Erinnerungen eines Europäers“. Er macht das weniger, weil er glaubt selbst so wichtig zu sein, sondern weil er die aufregenden und teilweise überraschend liberalen Zeiten, die er durchlebt hat, nicht in Vergessenheit geraten lassen will.

Zweig beschreibt das Vorkriegs-Österreich als eine Welt, in der eigentlich nie etwas passierte, eine Welt der nahezu vollkommenen Sicherheit. Die jüdische Bourgoise, der er angehörte, war geradezu besessen von Kultur und schon als Jugendliche ist es üblich für Zweig und seine Freunde, sich die neuesten Gedichtbände aus Deutschland oder Frankreich zu besorgen. Man versteht nochmal deutlich besser Freuds Thesen, wenn man sich Zweigs Kapitel zur sexuellen Unterdrückung und Verlogenheit insbesondere in der österreichischen Oberschicht in der Zeit um die Jahrhundertwende durchliest. Da steckt tatsächlich der Mief von mehreren tausend Jahren tief in den bürgerlichen Frackschössen.

„Selbst in ihren schwärzesten Nächten vermochten die Eltern und Großeltern sich nicht auszuträumen, wie gefährlich der Mensch werden kann, aber ebensowenig auch, wieviel Kraft er hat, Gefahren zu überstehen und Prüfungen zu überwinden.“

„Wir haben das Wort „Sicherheit“ längst als ein Phantom aus unserem Vokabular gestrichen.“

Der erste Weltkrieg hat diese Welt nachhaltig durcheinander gewirbelt und die vollumfängliche Sicherheit ein für alle Mal beendet. Das Land ist zerbrochen und in unterschiedlichste Fragmente aufgesplittert, was nur wenige Jahre später in die zerstörererische Zeit des Nazi-Terrors führt. Gleichzeitig waren gerade die Zwanziger Jahre des vorigen Jahrhunderts eine Hochzeit für deutsche und österreichische Schriftsteller. Zweig ist schon früh ein Reisender, der etwas von der Welt sieht, der mehrere Sprachen spricht und ganz selbstverständlich in unterschiedlichen Sprachen korrespondiert, auch gerade durch seine jüdischen Wurzeln bedingt. Wien ist lange die kulturell wichtigste Stadt der Welt und er trifft auf Joyce, Rilke, GB Shaw, HG Wells, Yeats und andere und zeigt uns eine Fülle an europäischer Kultur, die so jäh durch den Ausbruch des Zweiten Weltkrieges beendet wurde.

Zweig ist von dem universellen Jubel, der den Ausbruch des ersten Weltkriegs begleitete, schockiert und obwohl es ihn viel Sympathien kostet, bleibt er vehement ein erklärter Kriegsgegener. Zweig war ein Liberaler, ein Kulturliebhaber, der sich dem Kriegswahnsinn entzieht, in die Schweiz geht und dort beim Roten Kreuz arbeitet. 1919 kehrt er nach Wien zurück und wird nach einer Weile auch von seinen vorher wesentlich kriegsfreudigeren Freunden wieder integriert, die ihm seinen Pazifismus sehr übel genommen hatten. Leider dauert die Harmonie nicht lange an. Nach einer Reise Zweigs in den Zwanziger Jahren in die UdSSR und seinem negativen Bericht über die Zustände dort, wenden sich seine avantgardistischen Freunde wieder von ihm ab.

Er zieht sich daraufhin nach Salzburg zurück und schon bei Hitlers Machtübernahme im Jahr 1933 warnt er vor ihm und prophezeit dessen Einmarsch in Österreich und die damit verbundene Gefahr für die Juden. Kaum jemand glaubt ihm und deprimiert emigriert er kurz darauf nach Großbritannien. Auch dort fühlt er sich nicht wirklich wohl, macht der Regierung Vorwürfe für ihre laxe Haltung Hitler gegenüber und mahnt die mangelnde Unterstützung für die Juden an. Aus Angst, die Nazis könnten auch England überrennen, flieht er weiter nach New York, wo er mit der Schreiben an „Die Welt von Gestern“ beginnt.

„…die Wissenschaft…, dieser Engel des Fortschritts.“

Ich kann noch immer nicht glauben, dass es einem so weltberühmten Autor wie Zweig nicht gelingen wollte, ein Visum für die USA zu bekommen. Er sieht sich gezwungen nach Brasilien zu gehen, eines der wenigen Länder, das ihm ein Einreisevisum ausgestellt hatte. Zunehmend deprimierter und verzweifelter nimmt er sich im Jahr 1942, auf der Höhe der Macht der Nazis, in Rio mit seiner Ehefrau das Leben.

„Am Tage, da ich meinen Pass verlor, entdeckte ich mit achtundfünfzig Jahren, dass man mit seiner Heimat mehr verliert als einen Fleck umgrenzter Erde.“

Ich halte Zweig für einen der schärfsten und klarsten Denker des 20. Jahrhunderts. Dieses Buch ist für mich eines der Wichtigsten, das gerade in Zeiten von Brexit und dem Erstarken von nationalistischen Partein in vielen europäischen Ländern aktueller ist denn je. Ich glaube, dass Zweig mehr unter der Boshaftigkeit Einzelner als an der Dummheit Vieler gelitten hat. Wenn ich ein Buch nennen müsste, von dem ich mir wünschte, dass es jeder lesen soll, es wäre wohl dieses.

„Jeder Schatten ist im letzen doch auch Kind des Lichts, und nur wer Helles und Dunkles, Krieg und Frieden, Aufstieg und Niedergang erfahren, nur der hat wahrhaftig gelebt.“

„Wir haben die Spannung von Pol zu Pol und den Schauer des ewig Neuen bis in jede Faser unseres Lebens gefühlt… Jeder einzelne darum von uns weiß heute tausendmal mehr von den Wirklichkeiten als die Weisesten unserer Ahnen. Aber nichts war uns geschenkt; wir haben voll und gültig den Preis dafür gezahlt.“

Wie wichtig ein geeintes Europa ist und wie sehr wir uns davor hüten sollten, es als Selbstverständlichkeit anzusehen, zeigen diese „Erinnerungen eines Europäers“. Ich konnte gar nicht glauben, dass Zweig vor dem 1. Weltkrieg problemlos ohne Pass sogar in die USA reisen konnte. Heute leider wieder viel unvorstellbarer als noch vor einiger Zeit.

Im Literaturhaus in München war vor einer Weile eine großartige Zweig-Ausstellung, über die ihr hier noch ein wenig mehr erfahren könnt.

Daher bin ich heute mal ganz missionarisch: Bitte lest dieses Buch, es ist nicht nur wirklich spannend und ersetzt jede Lehrstunde in europäischer Geschichte, es ist auch noch ganz wunderbar geschrieben.

Wien – By the Book

Ostern in Wien war das Geburtstagsgeschenk für die wunderbare Schwiegermama, mit der wir die literarische und vor allen Dingen auch kulinarische ex-K&K Hauptstadt unsicher machten.

Wien war und ist für mich neben Paris die Fin-de-Siècle Metropole und was Proust in Paris ist, ist Zweig in Wien für mich. Da sträuben sich den Experten sicherlich die Haare, aber für mich kam kein anderer Autor als Zweig in Frage, der mich nach Wien begleiten sollte.

Ein Besuch im 1. Bezirk und das dazugehörige Trambahnfahren mit der Linie 1 gehören natürlich zum Pflichtprogramm. Ständig hatte ich das Gefühl, Sisi und Franz Joseph kommen gleich um die Ecke.

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Das Wetter war etwas durchwachsen, aber man wäre nicht in Wien, würde man nicht auch einen großen Teil der Zeit Torte essend und Zeitung lesend im Cafe verbringen. Die Auswahl an deutschsprachigen und internationalen Zeitungen z.B. im Cafe Landtmann hat mich schwer beeindruckt und ich wäre wohl noch ewig sitzen geblieben, hätten mich die Ladies nicht irgendwann weggezerrt, um weitere Sehenswürdigkeiten zu bewundern.

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Die kulinarischen Highlights unseres Ausflugs könnt ihr im Übrigen hier nachlesen, ich mache Euch jetzt noch etwas Lust auf Stefan Zweig.

Er wurde 1881 in eine großbürgerliche jüdische Kaufmannsfamilie hinein geboren und begann schon während seiner Studienzeit Gedichte zu veröffentlichen. Seit frühester Jugend war er überzeugter Europäer und Pazifist und es gibt wirklich keine bessere Begleitlektüre für Wien als seine „Welt von Gestern – Erinnerungen eines Europäers“. Über dieses Buch möchte ich separat noch ausführlicher berichten und freue mich, dafür eine spannende Kooperation einzugehen, doch dazu bald mehr.

Ausführlicher möchte ich euch von meinem zweiten Zweig berichten, dem wunderschönen „Buchmendel / Die unsicherbare Sammlung“, das schon in einigen Blogs besprochen wurde und das eigentlich in keinem ordentlichen Bücherhaushalt fehlen darf.

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„Die Unsichtbare Sammlung“ handelt von einem blinden Sammler seltener Drucke, der nicht realisiert, das seine kostbaren Dürers, Rembrandts etc. von seiner durch die Inflation verarmten Familie längst verkauft worden und durch leere Blätter ersetzt wurden.

Goethe sagte einmal, Sammler seien glückliche Menschen und diese Geschichte scheint ihm Recht zu geben.

„Die neuen Reichen haben plötzlich ihr Herz entdeckt für gotische Madonnen und Inkunabeln und alte Stiche und Bilder; man kann ihnen gar nicht genug herzaubern, ja wehren muß man sich sogar, daß einem nicht Haus und Stube kahl ausgeräumt wird. Am liebsten kauften sie einem noch den Manschettenknopf vom Ärmel weg und die Lampe vom Schreibtisch. Da wird es nun eine immer härtere Not, stets neue Waren herbeizuschaffen – verzeihen Sie, daß ich für diese Dinge, die unsereinem sonst etwas Ehrfürchtiges bedeuteten, plötzlich Ware sage –, aber diese üble Rasse hat einen ja selbst daran gewöhnt, einen wunderbaren Venezianer Wiegendruck nur als Überzug von soundsoviel Dollars zu betrachten und eine Handzeichnung des Guercino als Inkarnation von ein paar Hundertfrankenscheinen. Gegen die penetrante Eindringlichkeit dieser plötzlich Kaufwütigen hilft kein Widerstand.

Die zweite Novelle ist das berührende Schicksal des Buchmendel, eines alten Buchhändlers, der einem lebenden Universalkatalog der Weltliteratur glich, komplett in seinem Gebiet aufgehend.

Zweig erzählt voller Empathie, Tiefgründigkeit und Verständnis für diese exzentrischen Büchermenschen, die höchst lebendig aus dem Buch zu klettern scheinen, was natürlich durch die wunderbaren Illustrationen noch verstärkt wird. Ich liebe Zweigs angenehmen, leicht altmodischen Erzählstil, der den Plot ein klein wenig in den Hintergrund treten lässt, was aber dazu führt, dass man die Charaktere umfassender entdeckt.

„Wie ein Astronom einsam auf seiner Sternwarte durch den winzigen Rundspalt des Teleskops allnächtlich die Myriaden Sterne betrachtet, ihre geheimnisvollen Gänge, ihr wandelndes Durcheinander, ihr Verlöschen und Sichwiederentzünden, so blickte Jakob Mendel durch seine Brille von diesem viereckigen Tisch in das andere Universum der Bücher, das gleichfalls ewig kreisende über unserer Welt.“

Unbedingt erwähnen muss man aber die phantastischen Illustrationen in diesem Band, die den Geschichten von Joachim Brandenberg und Florian L Arnold auf den Leib geschneidert wurden. Die Bilder sind wunderschön mit einer berauschenden hypnotisierenden Kraft, die es schaffen, dem Ganzen eine mystisch, unaussprechlich sinnliche Atmosphäre zu geben.

Leute, kauft dieses Buch – es ist das perfekte Geschenk, egal zu welcher Jahreszeit. Ihr werdet Menschen damit glücklich machen, ich bin ganz sicher 🙂

Bilder: topalian-milani.de

Ich danke dem Topalian & Milani Verlag für das Rezensionsexemplar.

Beim nächsten Wien Besuch steht auf jeden Fall ein Theaterbesuch sowie ein Abstecher auf den Zentralfriedhof auf dem Programm. Wir hatten eine entzückende Wohnung in Währing angemietet gleich ums Eck vom Kutschkermarkt, dem Slow-Food-Mekka und nur zehn Minuten mit der Tram vom Zentrum entfernt. Eine Ecke von Wien, die sich auf jeden Fall auch zu entdecken lohnt.

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Servus Wien – es war wie immer wunderschön. Bis bald!

Meine Woche

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Gesehen: „Das Testament des Dr. Mabuse“ (1933) von Fritz Lang. Krimi der in den Wirren der Weimarer Republik spielt, ein echtes Meisterwerk, das direkt nach Erscheinen verboten wurde und erst in den 1950er Jahren ins Kino kam.

The End of the Tour“ (2015) von James Ponsoldt mit Jesse Eisenberg und Jason Segel. Die Geschichte des fünftägigen Interviews eines Rolling-Stones-Reporters mit David Foster Wallace, direkt nach dessen Veröffentlichung von „Infinite Jest“ von 1996.

We Will“ (2017) Kurzfilm zur Ehe-Gleichstellung in Australien. Bissl cheesy, aber auch irgendwie süß

Gehört: „The Big Ship“ – Brian Eno, Délicieux – Closet Disco Queen, „The Babadook End Credits“ – Jed Kurzel, „Fenster“ – Kraftklub, „Alice“ – The Underground Youth, „Genesis“ – SITD

Gelesen: diesen Artikel über politische Mythologie, diesen Artikel über die Brexit-Auswanderer, Lena Dunham interviewt Jill Abramson, Peter Drucker darüber wie man seine Zeit wirklich managt, warum Rebecca Solnit an den Feminismus glaubt, warum Optimismus tatsächlich gut für die Gesundheit ist, wie Ayn Rand das Silicon Valley und Trump überzeugt hat

Getan: mich viel mit Data-Visualisation beschäftigt, einer Freundin zum neuen Job gratuliert, ein Oster-Baby begrüsst, in Wien die Cafe-Häuser gestürmt und unseren 3-Damen-Ausflug sehr genossen

Geplant: eine Location für mein Reading-Weekend zu finden

Gegessen: Mohnnudeln

Getrunken: Grünen Veltliner

Gelacht: da fehlt garantiert mindestens 1 Nagel in dem Bausatz

Geärgert: über die grauen Wolken

Gefreut: über wahnsinnig positive Empfehlungsschreiben und über meinen Säbelzahntiger

Gewünscht: diese Garderobe, dieses Outfit, diese bepflanzten Kork-Magnete

Geklickt: auf Autodraw – hurra ich kann zeichnen 😉 auf dieses Volunteer-Projekt, 25 Frauen deren Erfindungen unser Leben verändern, auf den TED Talk von Katie Bouman wie man ein schwarzes Loch fotografiert

Gekauft: „Die Welt von Gestern“ von Stefan Zweig musste als neue Ausgabe her. Meine alte war so häßlich und elendig klein gedruckt – ging gar nicht

Gefunden: tolle Bücher in den verschiedenen „free little libraries“ in Wien

Gewundert: was dieser kleine Fisch so drauf hat

Kurzgeschichten für lange Nächte


Ich bin kein großer Kurzgeschichten-Fan, ich glaube das ist – wie bei Gedichten auch – so ein „aquired taste“ wie Rotwein, Whisky, Blauschimmel-Käse. Kurzgeschichten haben es nicht leicht bei mir, drohen immer mal wieder in die Ecke zu fliegen, wenn ich in die Geschichten nicht reinkomme (wie kürzlich beispielsweise bei George Saunders), daher wiegen die hier aufgelisteten für mich um so mehr, denn die haben mich in der Regel von der ersten Zeile nicht mehr losgelassen.

Eine liebe Freundin hat mir vor kurzem einen Kurzgeschichten Band zugeschickt: Victoria Hislops Sammlung mit Kurgeschichten von Frauen und zu meinem Entzücken fand ich dort meine Lieblingsgeschichte „The Lottery“ wieder, was mich auf den Gedanken brachte, meine Bibliothek zu durchforsten, um meine persönliche Sammlung aus den für mich besten Kurzgeschichten der Welt hier zu präsentieren.

Einige kann man im Internet finden, da habe ich den link ensprechend angehängt und bin jetzt sehr gespannt, ob Euch meine Sammlung gefällt, welche ihr davon kennt und vielleicht auch mögt oder eben auch nicht. Fehlt euch etwas? Freue mich sehr auf Eure Kommentare und etwaigen Ergänzungen. So long äh short 😉

Isaac Asimov – The Martian Way
Margaret Atwood – Torching the Dusties
Margaret Atwood – Death by Landscape
Margaret Atwood – The Martians claim Canada
Paul Auster – Augie Wren’s Christmas Story
James Baldwin – The Outing
Karen Blixen – The Monkey
Wolfgang Borchert – Nachts schlafen die Ratten doch
Jorge Luis Borges – Die Bibliothek von Babel
Octavia Butler – The Morning, and the evening and the night
TC Boyle – Dogology
Ray Bradbury – The Veldt
Ray Bradbury – A sound of Thunder
Ray Bradbury – The Million-Year Picnic
Albert Camus – The Artist at Work
Truman Capote – Handcarved Coffins
Truman Capote – Miriam
Raymond Carver – Neighbors
Angela Carter – The Bloody Chamber
Ted Chiang – Story of Your Life
Roald Dahl – Lamb to the Slaughter
Philip K Dick – The Golden Man
Philip K Dick – The Minority Report
Charles Dickens – The Signal-Man
Charles Dickens – A Christmas Carol
Denis Diderot – Gründe meinem alten Nachtrock nachzutrauern
Joan Didion – On Self-Respect
Emma Donoghue – Words for Things
Fjodor Dostojewski – Weihnachtsbaum und Hochzeit
Fjordor Dostojewski – Weiße Nächte
Arthur Conan Doyle – The Adventure of the Blue Carbuncle
Agatha Christie – The Witness for the Prosecution
Jennifer Egan – Safari
Harlan Ellison – I have no mouth and I must scream
Sheridan Le Fanu – Green Tea
William Faulkner – A Rose for Emily
F Scott Fitzgerald – The Curious Case of Benjamin Button
Gillian Flynn – The Grownup
EM Forster – The Machine Stops
Neil Gaiman – Der Fluch der Spindel
Neil Gaiman – Snow, Glass, Apples
Ursula LeGuin – Coming of Age in Karhide
Ursula LeGuin – The ones who walk away from Omelas
Graham Greene – The Third Man
Ernest Hemingway – The Snows of Kilimanjaro
Ernest Hemingway – A clean well-lighted place
O. Henry – The Robe of Peacej
Patricia Highsmith – The stuff of Madness
Aldous Huxley – Young Archimedes
Washington Irving – The Legend of Sleepy Hollow
Mary Gaitskill – The Other Place
Charlotte Perkins Gilman – The Yellow Wallpaper
Maria Dahvana Headley – See the Unseeable, Know the Unknowable
Judith Hermann – Kaltblau
Siri Hustvedt – Mr. Morning
Henry James – The Turn of the Screw
Shirley Jackson – The Lottery
Franz Kafka – Die Verwandlung
Franz Kafka – In der Strafkolonie
Stephen King – Rita Hayworth and Shawshank Redemption
Stephen King – Children of the Corn
Stephen King – The eerie aftermath of a mass exit
Stephen King – The Road Virus heads north
Heinrich Kleist – Die Marquise von O
Lautréamont – Die Gesänge des Maldoror
Stanislaw Lem – Test
Hengtee Lim – The Girl at the Bar
Jack London – The Red One
HP Lovecraft – Cool Air
HP Lovecraft – The Dunwich Horror
Guy de Maupassant – Der Horla
Herman Melville – Bartleby, the Scrivener
Laurie Moore – How to become a writer
Daphne Du Maurier – Don’t look back
Daphne Du Maurier – The Birds
Haruki Murakami – Kinos Bar
Haruki Murakami – Yesterday
Haruki Murakami – The Elephant Vanishes
Vladimir Nabokov – Terra Incognita
Joyce Carol Oates – Where are you going, where have you been?
Dorothy Parker – Sentiment, A Telephone Call
Sylvia Plath – Johnny Panic and the Bible of Dreams
Edgar Allan Poe – The Tell-Tale Heart
Edgar Allan Poe – The Pit and the Pendulum
Annie Proulx – Brokeback Mountain
Karen Russell – Vampires in the Lemon Grove
Karen Russell – Reeling for the Empire
JD Salinger – For Esme
JD Salinger –  A Perfect Day for a Banana-Fish
Oliver Sacks – Altered States
Jean-Paul Sartre – The Room
Jean-Paul Sartre – The Wall
Arthur Schnitzler – Traumnovelle
Ali Smith – Free Love
Robert Louis Stevenson – The Body Snatcher
Bram Stoker – Dracula’s Guest
Donna Tartt – The Ambush
James Tiptree Jr – And I awoke and found me here on the Cold Hill’s side
Mark Twain – Cannibalism in cars
Jules Verne – Der ewige Adam
Kurt Vonnegut – Harrison Bergeron
Kurt Vonnegut – The Drone King
HG Wells – Empire of the Ants
Jeanette Winterson – Days like this
Virginia Woolf – A mark on the wall
Richard Yates – Saying Goodbye to Sally
Banana Yoshimoto – Lizard
Stefan Zweig – Die Schachnovelle
Stefan Zweig – Brief einer Unbekannten